Das Wund-Balance-Kontinuum – ein neues Konzept für die Wundbehandlung

Wunden mit Vertrauen schneller zur Abheilung zu bringen und die Lebensqualität des Patienten zu verbessern sind die Zielsetzungen eines neuen Konzepts zur Wundbehandlung, das jetzt vorgestellt wurde.

ausbalancierte Holzkugeln | PHI24_08 ausbalancierte Holzkugeln | PHI24_08

Die Versorgung von Wunden – insbesondere chronischen – kann für alle Beteiligten herausfordernd sein. Aus diesem Grund ist eine gute Zusammenarbeit zwischen den Behandelnden und den Patientinnen und Patienten für den Therapieerfolg eine elementare Voraussetzung. Auf diesem Grundgedanken baut das neue Konzept der Wund-Balance auf. Es entstand im Rahmen einer Tagung internationaler Experten für Wundbehandlung im November 2022 in Frankfurt und das dort erarbeitete Whitepaper steht jetzt als Download zur Verfügung.

Dabei versteht sich dieses „Wund-Balance-Kontinuum“ nicht nur als Leitfaden zur Erzielung der „Wund-Balance“, sondern bemüht sich auch um ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten sowie der beteiligten medizinischen Fachkräfte. Das Ziel ist es, die Qualität der Wundbehandlung mit praxisorientierten Vorschlägen zu steigern.

Dazu gehört, dass medizinische Fachkräfte in die Lage versetzt werden sollen, die wissenschaftlichen Grundlagen der Wundheilung zu verstehen, um Faktoren zu erkennen, die den Heilungsfortschritt einer Wunde potenziell behindern können. So soll erreicht werden, dass Wunden, die voraussichtlich stagnieren oder chronifizieren, möglichst frühzeitig adäquat versorgt werden.

Ein weiteres Kernelement ist die konsequente Ausrichtung der Behandlung an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten und ihren individuellen Zielen. Dazu gehört die regelmäßige Messung der Lebensqualität mittels qualifizierter Methoden und eine besondere Berücksichtigung der Patientenedukation, um eine möglichst hohe Adhärenz zu erreichen.

Barrieren beseitigen

Für eine erfolgreiche Wundheilung müssen alle vier Phasen – Hämostase, Exsudation/Infektion, Proliferation und Umbau – in der richtigen Reihenfolge ablaufen. Es gibt jedoch zahlreiche Faktoren, die diese Prozesse stören können. Werden sie rechtzeitig identifiziert und beseitigt, kann dies zu einer schnelleren Wundheilung führen und in vielen Fällen eine langfristige Chronifizierung vermeiden.

Biomarker bieten dabei eine identifizierbare und messbare Option zur Beobachtung des Heilungsfortschritts und Erkennung von Hindernissen. Zu den Biomarkern, welche die Wund-Balance beeinflussen, gehören unter anderem Matrix-Metalloproteinasen (MMP), Elastase aus polymorphnuklearen Granulozyten (PMN- Elastase) oder Wachstumfsfaktoren.

Ein besonderer Fokus liegt dabei auf den MMPs. Sie spielen zwar eine wichtige Rolle bei der Wundheilung, zugleich gibt es aber zahlreiche Belege dafür, dass die MMP-Konzentrationen bei stagnierenden Wunden im Vergleich zu akut heilenden Wunden stark erhöht sind.

Auch allgemein haben Untersuchungen von Wundexsudat ergeben, dass kritische Biomarker bei chronischen Wunden erhöht sind. Dies bedeutet zugleich, dass aus dem chronischen Wundmilieu ein heilendes Wundmilieu entstehen und der Heilungsprozess aktiviert werden kann, wenn die mit chronischen Wunden einhergehenden Faktoren rückgängig gemacht werden können und das Wundmilieu wieder in Balance gebracht wird. Hier spielt der Einsatz von passenden Wundauflagen, die z.B. zur Modulierung der Proteasenkonzentration in der Wunde geeignet sind, eine wichtige Rolle.

Den Heilungsverlauf ins Gleichgewicht bringen

Ein ausgeglichenes Wundmilieu ist also eine entscheidende Voraussetzung für ein optimiertes Heilungspotenzial der Patienten. Eine Wund-Balance kann durch folgende Maßnahmen hergestellt werden:

  • Wundbettvorbereitung: Dies umfasst die Behandlung einer Wunde, um ihre Heilung zu beschleunigen oder die Wirksamkeit anderer therapeutischer Maßnahmen zu fördern. Dabei ist das Débridement, die Entfernung von nekrotischem, abgestorbenem oder infiziertem Gewebe, ein wichtiger Schritt, um Heilungsbarrieren zu beseitigen.
  • Exsudatmanagement: Obwohl die Produktion von Wundexsudat eine notwendige Voraussetzung für den Heilungsprozess ist, kann Exsudat die Wundheilung beeinträchtigen, wenn es in der falschen Menge, an der falschen Stelle oder in der falschen Zusammensetzung vorhanden ist. Ein gutes Exsudatmanagement soll den Feuchtigkeitsgehalt des Wundbetts für den Patienten optimieren, die wundumgebende Haut schützen, Symptome lindern und die Lebensqualität des Patienten verbessern.
  • Auswahl der richtigen Wundauflage: Wundauflagen können das Wundheilungsmilieu beeinflussen und die Heilung fördern. So weisen superabsorbierende Wundauflagen mit Polyacrylatpolymeren (SAP) wie die Zetuvit-Plus-Familie von HARTMANN eine überaus hohe Flüssigkeitsabsorptionskapazität (bis zum 100-fachen ihres Eigengewichts) auf und sind darüber hinaus in der Lage, potenzielle Wundinhibitoren (z. B. Proteasen wie MMP2 und Elastase oder Mikroorganismen) im Verband zu binden. Ihr Wirkungsmechanismus umfasst die Absorption, die Sequestrierung (Bindung), die Retention und schließlich die Entfernung von Hemmfaktoren. Die Auswahl einer geeigneten Wundauflage kann daher die Wundheilung verbessern bzw. dazu beitragen, dass Hochrisikowunden nicht chronisch werden.

Zur Herstellung einer Wund-Balance sollten praktische Maßnahmen ergriffen werden, die heilungshemmende Faktoren reduzieren und „Heilungsfaktoren“ erhöhen, damit die Wundheilung fortschreiten kann.

Übersicht "Dominanz von Heilungsfaktoren"

Der patientenzentrierte Ansatz

Bei allen Maßnahmen liegt der Fokus – auch wenn dies in der Theorie natürlich einfacher zu fordern als in der Praxis umzusetzen ist – des Konzepts auf einem patientenzentrierten Ansatz. Zu einer umfassenden Wundbeurteilung gehört daher nicht nur die Untersuchung der Wunde, sondern auch eine ganzheitliche Berücksichtigung der Gesamtsituation der behandelten Person.

Die Faktoren, die sich auf die Heilung und das Wohlbefinden der Patienten auswirken, lassen sich dabei allgemein in intrinsische (im Zusammenhang mit der behandelten Person und ihrer Gesundheit) und extrinsische (äußere Faktoren wie Rahmenbedingungen und die Art der Versorgung) einteilen.

Gerade das Leben mit einer chronischen Wunde unterscheidet sich oft von dem mit anderen chronischen Erkrankungen und kann erhebliche Auswirkungen auf das allgemeine Wohlbefinden, die psychische Gesundheit und die Lebensgewohnheiten haben. Es gibt konkrete Faktoren im Zusammenhang mit Wunden (z. B. auslaufendes Exsudat, Geruch), die sich negativ auf die behandelte Person auswirken können und behandelt werden müssen, sowie Faktoren wie Schmerzen, Mobilität und der Grad der Fähigkeit, Alltagsaktivitäten nachzugehen.

Eine maßgeschneiderte Versorgung muss daher ein Gleichgewicht zwischen den individuellen Bedürfnissen und Erwartungen der Patientinnen und Patienten und den physiologischen Heilungsfaktoren herstellen. Jeder Patient hat dabei aber andere Prioritäten, sodass es sich empfiehlt, vor Beginn der Behandlung am besten direkte Fragen zu stellen, um diese Prioritäten zu ermitteln, Ziele zu definieren, Bedenken herauszufinden und mögliche Fragen im Vorfeld zu beantworten.

Ein klares Gespräch mit der behandelten Person und die Einschätzung ihrer Fähigkeit und Bereitschaft zur Mitarbeit tragen dazu bei, die Wirksamkeit der Behandlung zu maximieren, vor allem bei Langzeitbehandlungen. Neben der behandelten Person sollten auch ihre Angehörigen und informelle Pflegepersonen wie z.B. pflegende Angehörige berücksichtigt werden.

Vertrauen ist anschließend der Schlüssel zur Beziehung zwischen behandelter Person und medizinischer Fachkraft. Eine klare und respektvolle Kommunikation trägt dazu bei, dieses Vertrauen aufzubauen. Eine effektive Kommunikation fördert auch eine konsistente Behandlung, was für die Patienten erwiesenermaßen wichtig ist.
Grafik Heilungserfolge Wundbehandlung

Entscheidend ist zudem, die Versorgung für die behandelte Person zugänglich zu gestalten. Zu diesem Zweck ist eine gründliche Aufklärung über die Behandlung und den Therapieplan notwendig. Medizinische Fachkräfte sollten klar und einfach kommunizieren und sich die nötige Zeit nehmen, damit die behandelte Person alles versteht. Patienten sollten darüber hinaus auch Informationen in einem für sie geeigneten Format ausgehändigt bekommen.

Und nicht zuletzt trägt die Schaffung einer freundlichen und beruhigenden Atmosphäre dazu bei, der behandelten Person die Angst zu nehmen und ihre Kooperationsbereitschaft zu erhöhen.

Die Lebensqualität der Patienten

Das Leben mit einer Wunde kann schwerwiegende Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patienten haben. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, die Präferenzen und Prioritäten der Patienten in jeder Phase der Behandlung zu berücksichtigen, um die negativen Auswirkungen des Lebens mit einer Wunde zu minimieren. Dabei sollten die behandelte Person und ihre Lebensqualität im Mittelpunkt aller Entscheidungen stehen. Leider ist die Lebensqualität ein Aspekt, der oft übersehen wird.

Zur Messung der Lebensqualität bei Personen mit chronischen Wunden wurde der Wound-QoL als ein validierter Fragebogen entwickelt. Er besteht aus 17 Fragen (in einer verkürzten Version aus 14 Fragen) in den Unterkategorien Alltag, Körper und Psyche und bezieht sich auf die Erfahrungen behandelten Person in den letzten sieben Tagen. Der Fragebogen ist speziell auf die Wundversorgung und die Bedürfnisse der behandelten Person zugeschnitten, hat sich in der Praxis als einfach anwendbar erwiesen und wird von den Betroffenen gut angenommen.
Neben dem eigentlichen Informationsgewinn kann der Wound QoL als Messinstrument auch ein Gefühl der Bestätigung und die Gewissheit geben, dass die Patienten mit ihren wundbedingten Problemen nicht allein sind. Das Ausfüllen des Fragebogens gibt den behandelten Personen auch die Möglichkeit, Dinge mitzuteilen, die nicht sichtbar sind oder die sie vielleicht nicht ansprechen würden, wenn sie nicht direkt dazu aufgefordert werden. So hilft er dabei, bisher unbemerkte Probleme aufzudecken.

Bei der Verwendung solcher Hilfsmittel müssen die Ergebnisse aber unbedingt weiterverfolgt werden, also z. B. die Ergebnisse bei seinem nächsten Besuch besprochen und zur Festlegung neuer Behandlungsziele genutzt werden.

Für die Autoren des Konzepts ist am Ende eines wichtig: „Das Verständnis – sowohl der wissenschaftlichen Grundlagen als auch der individuellen behandelten Person – ist von wesentlicher Bedeutung für das Konzept der Wund-Balance. Wenn wir als medizinische Fachkraft die behandelte Person, ihre Wunde, ihre allgemeine Gesundheit und ihr Wohlbefinden verstehen, können wir die relevanten Probleme angehen und die Hindernisse der Heilung abbauen.“ Damit verlagert sich der Schwerpunkt von einer reinen Wundversorgung hin zu einer umfassenden Wundbehandlung, die sich auf eine schnelle Abheilung und die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten konzentriert.