Sprechstundenbedarf: Wie sieht der Markt der Zukunft aus?



Im Markt für Sprechstundenbedarf (SSB) herrscht ein zunehmender Preisdruck und die Lieferanten befinden sich in der Zwickmühle zwischen den Erwartungen der Ärzte und den Preisvorgaben der gemeinsam agierenden Krankenkassen. Wie dies im Detail aussieht, erläutert Rechtsexperte Dr. Oliver Esch im Interview.

von der HARTMANN Online-Redaktion

Dr. Oliver Esch berät national und international tätige Unternehmen, Organisationen und Körperschaften im öffentlichen Wirtschafts- und Vergaberecht einschließlich der Privatisierung öffentlicher Aufgaben. Er hat umfangreiche Erfahrungen mit der rechtlichen Begleitung EU-weiter Vergabeverfahren auf Bieter- und Auftraggeberseite, in komplexen Genehmigungsverfahren sowie in Vergütungsverhandlungen und bei Kooperationen im Gesundheitssektor. Zu einem seiner Schwerpunkte zählt auch der Sprechstundenbedarf. Im Interview spricht er über die aktuellen Trends und Entwicklungen.

Herr Dr. Esch, wie lange beschäftigen Sie sich mittlerweile mit Sprechstundenbedarf und dessen Regularien?


Seit etwa acht Jahren.

Ist es Ihnen möglich in wenigen Sätzen zu beschreiben, wie die rechtliche Ausgangslage ist?


Es besteht - anders etwa als bei der Arznei- und Hilfsmittelversorgung - für den Bezug, die Lieferung und die Abrechnung von Sprechstundenbedarf keine gesetzliche Regelung im SGB V.

Grundlage sind stattdessen die sog. Sprechstundenbedarfsvereinbarungen. Hierbei handelt es sich um Verträge zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen, also den Vertragsärzten, und den Gesetzlichen Krankenkassen. Die Verträge legen fest, was als Sprechstundenbedarf verordnungsfähig ist und wie die Ärzte die Verordnungen vorzunehmen haben. Sie regeln aber keine Preise.

Gibt es neben den SSB Vereinbarungen weitere Verträge, welche den SSB regulieren?


Vielfach finden sich zudem Regelungen zum Sprechstundenbedarf in den Arzneimittellieferverträgen – also zwischen den Landesapothekerverbänden und den Krankenkassen. Soweit es sich nicht um im Sprechstundenbedarf abgegebene Arzneimittel handelt (etwa Kontrastmittel oder Impfstoffe), besteht hierfür an sich kein Bedürfnis. Jedenfalls besteht kein Bedürfnis und keine Grundlage, Hersteller und Lieferanten in anderen Bereichen des Sprechstundenbedarfs (etwa bei Verbandmitteln, Venenverweilkanülen, chirurgischem Nahtmaterial etc.) anders zu behandeln als Apotheker. Dies gilt insbesondere für die Preisgestaltung.


Zunehmend existieren Rahmenliefervereinbarungen zwischen Krankenkassen und Lieferanten von Sprechstundenbedarf. Sämtliche Ansprüche im Sprechstundenbedarf sind vertraglicher Natur.



Was hat sich in den letzten fünf Jahren im SSB geändert?



Festzustellen ist ein zunehmender Preisdruck von Krankenkassenseite. Dieser wirkt umso stärker vor dem Hintergrund, dass die Krankenkassen stets im Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft gemeinsam agieren. Man kann hier, was im Hinblick auf Vertragsgestaltungen relevant ist, von einem Nachfrageoligopol sprechen, jedenfalls dann, wenn man den Sprechstundenbedarf als eigenen Markt ansieht.

Wie schätzen Sie dann die aktuelle Lage beim SSB ein?


Es herrscht vergleichsweise große Unsicherheit im Markt. Ein schlüssiges Gesamtkonzept fehlt. Auf Grundlage der aktuellen Rechtslage müsste dieses ein vertragliches sein.

Kürzlich hat der MTD Dialog getitelt: „SSB-Lieferanten stehen mit dem Rücken zur Wand“. Würden Sie dies unterschreiben?


Ja, denn die Lieferanten haben einerseits Druck von Seiten ihrer Kunden, den Ärzten, und sehen sich andererseits Preisvorgaben von Kassenseite ausgesetzt. Es fehlt zudem an Planbarkeit.

Welche Mittel setzen Kassen ein, um Liefer- oder Preiskonditionen zu definieren?


Herausgegeben werden etwa Sonderpreislisten, sog. Ampellisten, Preiskorridore oder es werden Höchstpreise mitgeteilt. Die Informationen ergehen zum Teil als Informationen über wirtschaftliche Verordnungs- und Bezugsmöglichkeiten an die Vertragsärzte, teilweise auch als Preisvorgaben an die Lieferanten. Vielfach erfolgt durch die Rechnungsprüfstellen der Krankenkassen eine Kürzung von Rechnungen auf einen „wirtschaftlichen“ Preis oder die Mitteilung, dass künftig nur noch zu geringeren, „wirtschaftlicheren“ Preisen vergütet wird.


Wie dieser „wirtschaftliche Marktpreis“ ermittelt wurde, wird nicht mitgeteilt. Teilweise werden zudem ärztlich verordnete Produkte oder PZN auf (vermeintlich) Wirtschaftlichere abgeändert und es wird nur zu deren Preisen vergütet.

Sicherlich sind Ihnen auch bereits sogenannte Ampellisten begegnet. Wie schätzen Sie diese ein?


Ich halte diese deshalb für rechtlich problematisch, weil sie einseitige Verordnungsempfehlungen für die Produkte eines bestimmten Herstellers enthalten. Hierzu sind die Kassen an sich nicht berechtigt.


Was sagt die rechtliche Seite hierzu? Sind diese Handlungen rechtswidrig?



Informationen über Preise sind grundsätzlich zulässig. Sie sind zunächst einmal von § 73 Abs. 8 SGB V als "Information über preisgünstige verordnungsfähige Leistungen und Bezugsquellen" gedeckt. Das betrifft aber nur die reine Informationsseite.


Jegliche Form einseitiger Preisvorgaben, und um nichts Anderes handelt es sich letztlich auch bei einer Information an die Vertragsärzte, dass bei Nichtverordnung bestimmter Produkte oder von Produkten, die ein bestimmtes Preisniveau übersteigen, eine Wirtschaftlichkeitsprüfung droht, ist zunächst einmal rechtlich bedenklich.


Einseitige (Leistungs- und Preis-) Vorgaben sind im deutschen Vertragsrecht grundsätzlich nur dann zulässig, wenn dieses Recht zur Preisbestimmung einer Seite, sprich einem Vertragspartner vorbehalten wurde. Dieses Recht der Krankenkassen sehen wir jedoch weder gegenüber den Apothekern noch gegenüber den sonstigen Lieferanten von Sprechstundenbedarf gesetzlich oder vertraglich verankert. Letztlich Bedarf es für einen wirksamen Vertragsschluss aber einer Einigung über den Gegenstand der Lieferung und den Preis.

Können Sie nochmals näher auf die Informationen an Ärzte eingehen?


Hier stellt sich bei den, zumal im Sprechstundenbedarf stets gemeinsam handelnden, Gesetzlichen Krankenkassen als öffentlich-rechtlichen Körperschaften die Frage, welchen Bindungen diese bei ihrer Informationstätigkeit unterliegen. Die Antwort lautet, dass Krankenkassen als öffentlich-rechtliche Körperschaften in all ihren Handlungen auf einen unverfälschten Wettbewerb zu achten haben. Marktrelevante Angaben öffentlich-rechtlicher Körperschaften müssen dabei zutreffend sowie ordnungsgemäß und vollständig recherchiert sein. Hierbei sind Produktunterschiede ebenso wie Lieferfähigkeiten, Substitutionsmöglichkeiten, Produktsupport und Marktanteile anhand geeigneter Kriterien zu berücksichtigen. In Bereichen, in denen es, anders als etwa bei Hilfsmitteln auf Grund des dortigen Hilfsmittelverzeichnisses, ein einer hinreichend validen Clusterung fehlt, ist das letztlich aufwändig und schwer leistbar.

Welche Gegenmaßnahmen kann ein Händler ergreifen, um sich hier zur Wehr zu setzen?


Im Grunde muss man auf einer angemessenen Vergütung für die eigenen Lieferungen und Leistungen bestehen. Nötigenfalls muss die Höhe der Vergütung, auch einer Vergütung, die in Rahmenverträgen vorgegeben wird, gerichtlich überprüft werden. Problematisch ist dabei aber nicht zuletzt die Dauer sozialgerichtlicher Verfahren. Eine solche Überprüfung müsste aber möglichst im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses mit den Kassen erfolgen. Denn einfach zur eigenen Preisvorstellung weiterliefern, wenn kassenseits mitgeteilt wurde, dass diese nicht mehr vergütet werden soll, ist keine Option. Es entsteht dann schlicht kein Vergütungsanspruch.

Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung des SSB ein?


Die Entwicklung geht in Richtung flächendeckender Rahmenlieferverträge zwischen Krankenkassen und Lieferanten.


Die Herausforderung besteht in einem angemessenen Preisfindungsmechanismus. Dieser muss einerseits Unterschiede in der Produktbeschaffenheit und der damit einhergehenden Preisgestaltung des Herstellers umfassend, nicht zuletzt vergleichend, berücksichtigen. Möglicherweise sind wettbewerbliche Elemente bzw. Marktmechanismen hier tauglich. Das sozialgerichtlich bemühte Postulat des „freien Spiels der Kräfte“ zwischen Krankenkassen (hier wie gesagt sämtliche gemeinsam handelnd) und Leistungserbringern ist es jedenfalls ebenso wenig wie eine einseitige Festlegung von Produkten und Preisen. Gesetzliche Regelungen zur Festsetzung von Festbeträgen in anderen Bereichen sowie Bestimmungen des öffentlichen Preisrechts oder die Grundsätze zur Bestimmung relevanter Märkte im Kartellrecht veranschaulichen dies.


Für eine eventuelle gesetzliche Regelung könnte die zu den sog. „Verhandlungs- und Beitrittsverträgen“ zumindest eine Orientierung bieten.

Was würden Sie SSB-Lieferanten für die Zukunft abschließend empfehlen?


Sich auf den Abschluss von Rahmenlieferverträgen einzustellen und das Vertragsmanagement und -Monitoring zu stärken.

Herr Dr. Esch, vielen Dank für das informative Gespräch.

Portrait Dr. Oliver Esch

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