Lunchsymposium beim DGKH-Kongress

Bewusster Umgang mit Handschuhen

Nach zwei Jahren als reine Online-Veranstaltung fand der Kongress der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene Anfang Mai 2022 in einem hybriden Format in Berlin statt. Am 2. Mai lud HARTMANN im Rahmen des Kongresses zu einem Lunchsymposium ein, bei dem sich alles um das Thema Handschuhe, Hygiene und Desinfektion drehte.

24.05.2022

Thema Handschuhdesinfektion


Wann Handschuhe, wann Händedesinfektion und wann Handschuhdesinfektion? Diese Fragestellung zum bewussten Umgang mit Handschuhen zog sich durch die drei hochkarätigen Vorträge des Symposiums. Moderiert wurde das Programm von Dr. Heide Niesalla, Leiterin des HARTMANN Science Centers, dem Kompetenzzentrums der HARTMANN Gruppe für Desinfektion, Hygiene und Infektionsprävention, und von Dr. Christian Jenke, Fachlicher Leiter Fachberatung Desinfektion (Business Unit Klinik) bei der PAUL HARTMANN AG.

Die Herstellerperspektive beleuchtete im ersten Vortrag Dr. Viktoria Kolbe, wissenschaftliche Mitarbeiterin des HARTMANN SCIENCE CENTERS. „Führen Sie Handschuhdesinfektionen durch?“ lautete ihre erste Frage, über die die Teilnehmer per Online-Tool abstimmen konnten. Eine knappe Mehrheit von 54 zu 46 stimmte mit „Ja“ und zeigte damit die Praxisrelevanz des Themas auf. Anschließend erläuterte sie anhand eines Prozessbeispiels in einem Isolationszimmer die Problematik in der Praxis. Gerade bei Prozessen mit häufigem Handschuhwechsel werden Arbeitsabläufe unterbrochen, was zu einer Verlängerung des gesamten Prozesses führt. Zudem sei in manchen Situationen, wie z. B. der Notfallversorgung, ein Wechsel der Handschuhe teilweise gar nicht möglich.

„Viele Häuser sind dann der Meinung, dass eine Handschuhdes­infektion vertretbar sei, und auch die KRINKO empfiehlt diese, allerdings nur in Ausnahmesituationen“, sagte Viktoria Kolbe. „Voraussetzung ist jedoch immer eine krankenhausinterne Risikobewertung durch den Anwender.“

Kompatibilität im Test

HARTMANN bietet in seinem Sortiment sowohl Handschuhe als auch Hände-Desinfektionsmittel an. Mit Untersuchungen zur Kompatibilität der beiden Produkte möchte das Unternehmen die Anwender bei der erforderlichen Risikobewertung unterstützen. HARTMANN Untersuchungshandschuhe Peha-soft nitrile fino wurden dazu bis zu 5-mal mit je 3 ml Hände-Desinfektionsmittel auf Ethanol- und Propanolbasis für 30 Sekunden mittels der eigenverantwortlichen Einreibemethode konditioniert. Drei Testungen wurden durchgeführt:

  • Reißkraft (EN 455-2)
  • Betriebsinterner Quelltest
  • Permeation (EN 16523-1)

Die Kompatibilität der Handschuhe mit den getesteten Produkten konnte für alle drei Kriterien bestätigt werden. Abschließend wurde aber noch einmal ausdrücklich auf die regulatorischen Vorgaben hingewiesen: „Im Falle einer Handschuhdesinfektion erlischt die Haftung durch den Hersteller. Der Anwender handelt in Eigenverantwortung mit allen haftungsrechtlichen Konsequenzen.“

Effektivität, Effizienz, Akzeptanz

Warum also das Risiko eingehen? Darauf hatte Prof. Dr. med. Simone Scheithauer, die Direktorin des Instituts für Krankenhaushygiene und Infektiologie der Universität Göttingen, interessante Antworten.

In ihrem Vortrag ging sie auf drei Gründe ein, die für eine Handschuhdesinfektion sprechen. Zunächst gehe es um die Effektivität. Dabei sei es wichtig, den Bedarf für eine mögliche Handschuhdesinfektion zu kennen. Untersuchungen ihres Instituts zeigen, dass die Händehygiene-Compliance (HHC) gerade bei der für den Patienten wichtigsten Indikation, vor aseptischen Tätigkeiten, am geringsten ist. Auf die Effektivität der Handschuhdesinfektion weisen Ergebnisse einer Untersuchung aus Frankreich hin. Nach 10 Minuten Arbeit bei der Routineversorgung mit Handschuhen weisen rund drei Viertel der Proben eine Kontamination auf. Nach Desinfektion waren nur noch rund 20 % kontaminiert.

Simone Scheithauer präsentierte zudem eine eigene dreiphasige prospektive Interventionsstudie auf einer Station für Stammzellentransplantation. Nach einer Baseline-Erhebung wurde in Phase 2 die Handschuhdesinfektion gefördert, in Phase 3 wieder verboten. Das Ergebnis: Die Händehygiene-Compliance stieg zunächst insgesamt an, besonders aber vor Moment 2. In Phase 3 sank die Compliance wieder, die Handschuhdesinfektion war also entscheidend. Insgesamt sank außerdem die Zahl schwerer Infektionen auf der Station.
Hände in Einmalhandschuhen bringen Plaster auf die Wunde

Der Faktor Zeit


Weiter ging es mit der Frage nach der Effizienz. „Keine Zeit“ werde am häufigsten als Grund für Non-Compliance genannt, sagt Simone Scheithauer. Eine von ihr in Basel durchgeführte Untersuchung zeigte, dass die Compliance invers mit der Arbeitsbelastung korrelierte – selbst bei sehr gut geschulten Mitarbeitern und einem perfekten Pflegeschlüssel.

Ihre Überlegungen galten dann der Kosten-Nutzwert-Analyse und sie hielt die Hypothese, dass eine Handschuhdesinfektion ressourcenneutral die Compliance steigern könne, für durchaus plausibel.

Vor der Betrachtung des letzten Punktes, der Akzeptanz, sei natürlich auch die Machbarkeit zu prüfen. Ist die originäre Funktion des Handschuhs nach der Desinfektion noch sichergestellt? Gerade zu Beginn der COVID-19-Pandemie war die Fragestellung in Anbetracht der Knappheit von Handschuhen bedeutend. Simone Scheithauer stellte dazu weitere Studien vor, die sich mit der Kompatibilität von Handschuhen und Hände-Desinfektionsmitteln befasst haben. Das Ergebnis: Es gibt „gut und schlecht geeignete Pärchen“. So waren nach 10 Desinfektionzyklen keine und selbst bei 20 Zyklen nur geringe Änderungen an der Leistungsfähigkeit der Handschuhe festzustellen.

Für die Akzeptanz sei es schließlich entscheidend, dass es anstelle von mehr Händedesinfektionen zu einer Prozessoptimierung durch die bessere Organisation von Arbeitsschritten komme. So konnte in mehreren Studien gezeigt werden, dass die HHC auf diese Weise in verschiedenen Bereichen des Krankenhauses langfristig verbessert werden konnte. Zuletzt gab es in den vergangenen Jahren einen Paradigmenwechsel. Beispielsweise befürwortet auch die Aktion Saubere Hände unter bestimmten Voraussetzungen die Desinfektion von Untersuchungshandschuhen.

Das persönliche Fazit von Simone Scheithauer lautete daher:
Simone Scheithauer
Prof. Dr. med. Simone Scheithauer
„Die Handschuhdesinfektion ist möglich, effektiv und effizient und als Prozessänderung langfristig wirksam. Sie birgt allerdings intrinsische Risiken und ist nicht DIE Lösung aller Probleme, aber ein wichtiger Mosaikstein, insbesondere zur Compliance-Optimierung vor aseptischen Tätigkeiten.“

Den Handschuheinsatz kritisch betrachten


Einen weiteren differenzierten Blick auf den Gebrauch von Handschuhen warf in ihrem Vortrag Prof. Dr. Frauke Mattner, die Chefärztin des Instituts für Hygiene der Kliniken der Stadt Köln und Inhaberin des Lehrstuhls für Hygiene und Umweltmedizin an der Universität Witten-Herdecke.

Auch in den von ihr präsentierten Referenzdaten der ASH zeigte sich eine hohe HHC nach Kontaktindikationen und eine niedrige HHC vor aseptischen Tätigkeiten. „Wenn also der Patientenschutz im Vordergrund steht, finden wir eine niedrige Compliance bei der Desinfektion“, sagte sie und ergänzte, dass für die Anwendung von Handschuhen keine Compliance-Daten vorlägen.

Frauke Mattner stellte zudem die Frage, ob Handschuhe überhaupt eine gute Barriere seien. Untersuchungen zeigten eine Reduktion von Kontaminationen der Hände mit MRSA und weiteren multiresistenten Erregern um
70 %. Handschuhe schützen also vorrangig vor Kontamination der eigenen Hände, nicht aber den Patienten. Auf der anderen Seite sind in 50 bis 70 % der Fälle die Handschuhe nach Beginn einer pflegerischen Tätigkeit kontaminiert. Auch nach dem Ausziehen der Handschuhe liegt die Kontamination der Hände bei über 10 %.

Risiko der gefühlten Sicherheit


Eine weitere Studie auf einer Dialyse-Station konnte nachweisen, dass auch auf augenscheinlich sauberen Handschuhen bei über 60% Hämoglobin gefunden wurde. „Wir haben es hier also mit einer falsch vermuteten bzw. gefühlten Sicherheit des Handschuhs zu tun“, erklärte die Wissenschaftlerin.

Das Robert Koch-Institut (RKI) nenne als offizielle Indikation für das Tragen von Handschuhen den Schutz des Trägers vor Kontaminationen und damit die indirekte Unterbrechung von Infektionsketten. Das gelte insbesondere dann, wenn Erreger durch alkoholische Hände-Desinfektionsmittel nicht zu inaktivieren seien (z. B. Sporen von Clostridioides difficile). In diesem Zusammenhang betrachtete sie die Frage, wie oft Handschuhe außerhalb dieser RKI-Empfehlungen eingesetzt werden.

In einer der wenigen dazu verfügbaren Studien trat beim Tragen von Handschuhen in 68 % der Tätigkeiten gar kein Kontakt zu infektiösem Material auf. „Aber man muss natürlich auch sehen, dass wir Handschuhe tragen, wenn wir nur erwarten, mit infektiösem Material in Kontakt zu kommen“, ergänzte Frauke Mattner.

Bezogen auf die „5 Momente der Händehygiene“ wären die Momente „vor aseptischen Tätigkeiten“ und „nach Kontakt zu infektiösem Material“ eine Indikation für die Benutzung von Handschuhen. Dadurch sei aber noch nicht geklärt, ob Handschuhe frisch seien, bereits kontaminiert aus der Packung entnommen wurden oder man ihren Zustand einfach nicht einschätzen könne.

Sensorgestützte Untersuchung


Gerade dies herauszufinden, sei eine Zielsetzung des gemeinsam mit HARTMANN in Köln laufenden Projekts Count Clean Contact mit einer umfangreichen sensorgestützten HHC-Erfassung.

Frauke Mattner konnte erste vorläufige Ergebnisse aus 500 HHC-Beobachtungen präsentieren: „Nach Kontakt zu infektiösem Material wurde viel häufiger nur der Handschuh abgelegt, ohne dass danach eine Desinfektion stattfand. Anders nach Patientenkontakt oder nach Kontakt mit der Patientenumgebung. Hier wurden nach dem Ausziehen der Handschuhe viel häufiger die Hände desinfiziert“, fasst sie zusammen.

Frauke Mattner
Prof. Dr. Frauke Mattner
„Was mich erschrocken hat, ist die Gegenläufigkeit. Dort, wo die höchste Gefahr für einen selbst vorhanden ist, wird am wenigsten für die Sicherheit getan. Man trifft im Prinzip die falsche Entscheidung und fühlt sich in falscher Sicherheit.“
Wie sieht das aber bei den VOR-Indikationen aus? Hier betrachtet die Studie viele verschiedene Kombinationen von Händedesinfektionen und Handschuhen, ob sie frisch, kontaminiert oder desinfiziert sind oder ihr Zustand unbekannt ist. „Optimale Compliance (Händedesinfektion und frische Handschuhe) ist vor aseptischen Tätigkeiten nur bei 19% gegeben. Ergänzt man auch mittlere Compliance-Level (frische Handschuhe und Handschuhdesinfektion), liegen wir bei 40%“, sagt Frauke Mattner. Ein Grund für die geringe Compliance könnte die Tatsache sein, dass erst der Patient vorbereitet würde und dann, wenn die aseptische Tätigkeit startet, der Handschuh bereits kontaminiert sei. Insgesamt sei ein großer Block an Beobachtungen mit einem unklaren Handschuhstatus festzustellen.

Verantwortung übernehmen


In ihrer Zusammenfassung betonte Frauke Mattner mehrere Punkte. „Der Einsatz von Handschuhen erfolgt häufig nicht indikationsgerecht. Gerade vor der Durchführung von aseptischen Tätigkeiten führe der Gebrauch von Einmalhandschuhen zum Arbeiten mit kontaminierten Handschuhen, die das Risiko für nosokomiale Infektionen erhöhen.“

Sie wies auch auf den Unterschied der Indikationen für die Händedesinfektion und den Einsatz von Handschuhen hin. „Das ist NICHT deckungsgleich“, betont sie.

„Ansagen gegen das Tragen von Handschuhen werden bislang in der Praxis noch nicht verantwortet. Viele von uns trauen sich das nicht.“

„Ich kann keine Lösung anbieten, aber mir war wichtig, auf das Problem hinzuweisen. Ich bin der Meinung, dass wir deutlich weniger Handschuhe tragen sollten, und wir müssen uns damit auseinandersetzen, wie wir das kommunizieren mit bestimmten Indikationen,“ fasste Frauke Mattner ihren Beitrag zusammen.

Eindeutige Präferenzen


Bevor die Diskussion mit weiteren Fragen am Messestand von HARTMANN fortgesetzt wurde, hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch einmal die Möglichkeit, ihre Meinung zum Thema Handschuhdesinfektion kundzutun – entweder per Online-Tool oder durch das Mitnehmen bzw. Liegenlassen von Handschuhen im Auditorium. Das Ergebnis war dabei eindeutig: 162 Stimmen waren für, nur 22 gegen die Handschuhdesinfektion.

Bei einer zusätzlichen Umfrage am HARTMANN Stand zeigte sich ein ähnliches Bild: Hier gaben fast 44% der Teilnehmer an, bereits Handschuhdesinfektionen durchzuführen. Größtenteils finden diese bei der Versorgung von Patienten in Kontaktisolation statt (75 %).

Andere Situationen waren mit jeweils 25 % Blutabnahme, Patientenwaschung und Wechsel von Inkontinenzvorlagen. Durchschnittlich werden die Handschuhe von der Mehrheit der Befragten weniger als 10 Minuten getragen (80 %). Nur 20 % gaben an, die Handschuhe bis zu 30 Minuten zu tragen. Die Kompatibilität von Handschuhen und Hände-Desinfektionsmitteln wurde von 40% der Befragten getestet.“

DGKH Messestand 2022

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