Chronische Wunden –
ein Altersproblem?

Die mit dem Alter zunehmende Inzidenz chronischer Ulzera wirft die Frage auf, welchen Einfluss bzw. welche Auswirkungen das Alter auf die Wundentstehung und das Wundheilungsgeschehen hat und was in der ganzheitlichen Behandlung zu berücksichtigen ist, um auch bei Alterspatienten Heilungserfolge zu erzielen.

von der HARTMANN Online-Redaktion

Einleitung

Chronische Wunden entwickeln sich zumeist in jahrelangem, schleichendem Verlauf als Folge von Erkrankungen wie beispielsweise Venenleiden, peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK), Diabetes mellitus oder Tumoren. Aber auch ein Dekubitus stellt eine typische Grundkonstellation dar. Da von diesen Erkrankungen weitaus mehr ältere Menschen als jüngere betroffen sind, werden chronische Problemwunden in der geriatrischen Medizin und Pflege zunehmend zu einer Herausforderung, die nicht ganz einfach zu bewältigen ist. Dies sollte aber weder bei den Betroffenen selbst noch beim behandelnden Arzt und Fachpflegekräften dazu führen, eine chronische Wunde als altersbedingt und schicksalhaft hinzunehmen. Unabhängig vom Alter und der Prognose hat jeder Betroffene Anspruch auf eine dem aktuellen medizinischen Wissensstand entsprechende Wundbehandlung.

Dabei stehen Diagnostik und Evaluierung der verschiedenen Wundentstehungsmechanismen im Vordergrund. Denn im Falle chronischer Problemwunden muss konsequent immer auch die Erkrankung mitbehandelt werden, die zum Ulkus geführt hat. Dies gilt grundsätzlich für jedes Lebensalter.

Bei geriatrischen, häufig multimorbiden Patienten unterliegt nun die natürliche Fähigkeit des Organismus zur Wundheilung großen individuellen Schwankungen. Sie ist abhängig von den möglichen Auswirkungen vorliegender Alterserkrankungen, aber auch von vielfältigen Einflüssen physiologischer Alterungsprozesse. Daraus ergibt sich die Konsequenz, dass die Wundheilung beim Geriatriepatienten nur durch einen ganzheitlichen Therapieansatz erfolgreich sein wird, der den Menschen mit all seinen altersbedingten Defiziten und Erkrankungen, seinem psychischen Befinden und seinem sozialen Umfeld einbezieht.

Welche chronischen Wunden im Alter am häufigsten auftreten, wie sich die Alterung der Haut auf die Wundheilung auswirkt und welche Störfaktoren im Alter eine wesentliche Rolle spielen, wird nachfolgend kurz dargestellt.

Chronisch venöse Insuffizienz – 
Ursache für das venöse Ulkus

Das am häufigsten vorkommende Beingeschwür ist das venöse Ulkus (Ulcus cruris venosum). Es ist Folge einer schweren Stoffwechselstörung in der Haut, ausgelöst durch verschiedene Venenleiden wie z. B. Krampfadern oder durch Thrombosen geschädigte Venen (postthrombotisches Syndrom), die unter dem Symptomenkomplex der chronisch venösen Insuffizienz (CVI) zusammengefasst werden.

Vielfach zeigen sich Venenleiden bereits in jüngeren Jahren, teilweise auch bereits mit Ulkusbildung, sodass das venöse Ulkus eigentlich nicht als typische Problemwunde im Alter angesehen werden kann. Die normalen Alterungsprozesse führen aber auch im Falle von Venenleiden zu einer Verschlechterung des Krankheitsbildes. Der zunehmende Elastizitätsverlust der Blutgefäße und damit auch der Venen verstärkt die chronisch venöse Insuffizienz, wodurch es im degenerativ veränderten Hautbindegewebe schneller zur Ulkusbildung kommt, die das schwerste Stadium der CVI anzeigt.

Nicht zuletzt fehlt auch oft die Bewegung, sodass das natürliche „Venentraining“ durch das Gehen wegfällt. Ältere Menschen sitzen viel, was zudem die Ausbildung ulkusfördernden „Wassers“ (Stauungsödeme) in den Beinen begünstigt, vor allem dann, wenn zusätzlich eine Herzinsuffizienz besteht.

Auch die wenig widerstandsfähige und gerade an den Unterschenkeln oftmals sehr trockene Altershaut begünstigt die Ulkusentwicklung. Insbesondere können Verletzungen oder Einwirkungen stumpfer Traumen, wie z. B. sich an einer Kante zu stoßen, die Entwicklung von hartnäckigen und häufig sehr schmerzhaften Ulzera starten.

Periphere arterielle Verschlusskrankheit – 
Ursache für das arterielle Ulkus

Eine weitere Gefäßerkrankung, die zu chronischen Wunden führen kann, ist die Arteriosklerose, umgangssprachlich auch als Arterienverkalkung bezeichnet.Arteriosklerotische Veränderungen treten meist ab dem 40. Lebensjahr auf, nehmen aber mit höherem Lebensalter rasch zu. Allerdings sind für das Krankheitsgeschehen auch eine Reihe von Risikofaktoren mit von Bedeutung, die teils durch andere, ebenfalls im Alter häufige Erkrankungen (Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Fettstoffwechselstörungen usw.) und teils durch eine ungesunde, falsche Lebensweise (Übergewicht, Nikotin- und Alkoholabusus) bedingt sind.

Ursache für das arterielle Ulkus (Ulcus cruris arteriosum) ist ein Verschluss der Beinarterien durch die zunehmende Verkalkung, woraus sich das Krankheitsbild der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) entwickelt. Der Arterienverschluss findet häufig im Oberschenkelbereich statt, mit der Folge oft schwerer Durchblutungsstörungen bis hin zur Entstehung eines Ulkus. Dieser entwickelt sich meist zuerst an Stellen, auf die beim Gehen oder Stehen erhöhte Druckkräfte einwirken, z. B. auf Zehen, Ferse, Fußballen oder die vordere Schienbeinkante. Durch die schlechte Durchblutung können sich aber auch Bagatellverletzungen, beispielsweise durch Stoß oder eine unsachgemäße Fußpflege, rasch zu einem bedrohlichen Ulkus ausweiten.

Diabetes mellitus – 
Ursache für diabetische Ulzera

Die Häufigkeit des Diabetes mellitus hat epidemische Ausmaße angenommen und da Diabetes eine stark altersabhängige Komponente hat, ist allein aufgrund der Altersentwicklung mit weiter steigenden Erkrankungszahlen zu rechnen. Damit wird auch die Zahl der diabetischen Fußulzera weiter ansteigen, denn Erhebungen zufolge erleiden etwa 15 Prozent der Patienten mit Diabetes mellitus im Laufe ihrer Erkrankung Fußläsionen, die nur allzu oft in einer Amputation enden.

Diabetische Ulzera entstehen auf dem Boden einer diabetischen (Poly-)Neuropathie und / oder einer pAVK-bedingten Durchblutungsstörung. Obwohl die statistischen Erhebungen etwas differieren, kann von folgender Verteilung ausgegangen werden: In etwa 45 Prozent der Fälle ist eine diabetische Neuropathie die Ursache, bei weiteren 45 Prozent handelt es sich um eine Mischform aus Neuropathie und Durchblutungsstörung und etwa zehn Prozent sind auf eine isolierte pAVK zurückzuführen. Alle Ulkusformen werden unter dem Oberbegriff des diabetischen Fußsyndroms (DFS) zusammengefasst.

Anhaltende Druckeinwirkung auf die Haut – 
Ursache für das Dekubitalulkus

Grundsätzlich können alle Menschen, die einer anhaltenden Druckeinwirkung auf ein bestimmtes Hautareal – meistens über Knochenvorsprüngen – ausgesetzt sind, einen Dekubitus entwickeln. Im Alter ergeben sich jedoch wiederum eine Reihe von Faktoren, die das Dekubitusrisiko und die Häufigkeit rapide ansteigen lassen (Tab. 1).

Da bei der Entstehung eines Dekubitus die Dauer der Druckeinwirkung auf die Haut eine entscheidende Rolle spielt, ist es vor allem der Grad der individuell vorliegenden Immobilität, die das Risiko bestimmt. Sind Spontanbewegungen mehr oder weniger eingeschränkt, z. B. durch Demenzerkrankungen, zerebrovaskuläre Ereignisse, starke Schmerzen, Medikation oder Malnutrition mit einem stark reduzierten Allgemeinzustand, besteht ein hohes Gefährdungspotenzial. Aber auch der Zustand der Haut ist für die Ulkusentwicklung von Bedeutung, weil eine Altershaut oder z. B. durch Inkontinenz vorgeschädigte Haut gegen Druck weniger widerstandsfähig ist als eine gesunde, junge Haut.

Besondere Herausforderung: Tumorwunden

Nicht zuletzt durch immer wirksamere Tumortherapien, die Krebspatienten längere Überlebenschancen sichern, ist die geriatrische Medizin und Pflege zunehmend mit der Versorgung von Tumorwunden konfrontiert. Abhängig von der Tumorart, dem Stadium und der daraus abgeleiteten Prognose erfolgt die lokale Wundversorgung entweder kurativ oder palliativ, letztere vor allem bei exulzerierenden Tumorwunden. Im Vordergrund steht dann eine wirksame Symptomenkontrolle, um dem unheilbar kranken Menschen sein Leiden zu erleichtern.

Tumorwunden können aufgrund unterschiedlicher Ursachen auftreten: Es kann sich um einen Primärtumor handeln (z. B. Basaliom, Melanom), ein starkes Tumorwachstum, den geschwürigen Zerfall eines Tumors, Verletzungen im Bereich des Tumors, Entartung von Gewebe (z. B. Entartung von einem lang bestehenden venösen Ulkus) oder um Metastasen. Dabei gibt es Tumorarten, die häufiger exulzerieren, wie beispielsweise Mammakarzinome, Plattenepithelkarzinome oder Hauttumoren.

Auswirkungen der physiologischen Hautalterung auf die Wundheilung

Die Heilung von Hautwunden beruht auf der Fähigkeit der Haut zur Regeneration von Epithelien und zur Reparation von Hautbindegewebe, sodass die Frage zu stellen ist, wie sich die Hautalterung, die bereits am Ende des dritten Lebensjahrzehntes beginnt, auf diese Fähigkeit auswirkt.
Die Alterungsprozesse der Haut betreffen vorrangig die Funktionseinheit Epidermis und Dermis und werden zuerst an lichtexponierten Stellen wie Gesicht und Händen sichtbar. Der Schwund an Zell- und Faserelementen macht die Haut insgesamt dünner, die Gleichmäßigkeit der Schichten geht verloren. Die degenerativen Veränderungen des Hautbindegewebes führen zur Hauterschlaffung und zum Elastizitätsverlust. Es entstehen vermehrt Falten und Runzeln. Auch die Gefäßwände verlieren an Elastizität, wodurch sich die Blutgefäße maximal erweitern.

Die Verhornung wird immer unregelmäßiger, die Abstreifung der obersten Zellen der Hornschicht, der sog. Korneozyten, nimmt ab. Gleichzeitig vermindern sich die interzelluläre Bindungskraft und die transepidermale Wasserdampfabgabe. Zunehmende Pigmentstörungen zeigen sich als fleckförmige, bräunliche Verfärbungen, den sog. Altersflecken. Rückläufig ist auch die Schweiß- und Talgdrüsenproduktion, sodass die Funktionsfähigkeit des Säureschutzmantels eingeschränkt ist.

All diese Vorgänge bewirken schließlich, dass die Haut insgesamt gegen viele äußere Einflüsse empfindlicher wird und im Falle ihrer Schädigung mit einer verzögerten Reparationsleistung zu rechnen ist. So wurde z. B. bei Keratinozyten, aus denen Hautepithelien bestehen, nachgewiesen, dass alternde Epithelien langsamer auf eine Verwundung reagieren als jüngere Epithelien.

Auch die Immunantwort der Haut ist mit zunehmendem Alter reduziert. Neben der Funktionseinbuße des Säureschutzmantels dürfte hierfür die Abnahme antigenpräsentierender Zellen in der Haut, die im Rahmen der Phagozytose aktiv werden, ein wesentlicher Faktor sein. Die Verringerung der Mikrovaskulatur, die eine Minderung des Blutflusses im Gewebe zur Folge hat, führt ebenfalls zur Abnahme der Abwehrkräfte gegenüber einer Infektion. Einigen Angaben zufolge ist ein Patient, der älter als 66 Jahre ist, sechsmal anfälliger für eine Wundinfektion als ein Patient, der jünger als 14 Jahre ist (Sedlarik et al., 1993).

Des Weiteren verhält sich auch eine Dermis, die in ihrer extrazellulären Matrix nur noch über eine reduzierte Menge an Proteinen (Kollagen, Elastin) verfügt, in Bezug auf die Wundheilung anders als eine vollwertige. Denn die extrazelluläre Matrix schützt u. a. die Wachstumsfaktoren, die zur biochemischen Steuerung der Wundheilung unerlässlich sind, vor einem Abbau.Und schließlich begünstigt die Abnahme der Aktivität von Schweiß- und Hautfettdrüsen die Bildung von Ekzemen und Hautinfektionen, was insbesondere bei langbestehenden Ulzera ein großes Problem sein kann.

Erkenntnisse aus der klinischen Forschung lassen insgesamt den Schluss zu, dass das physiologische Altern die Wundheilungsprozesse durch die allgemein reduzierten Zellaktivitäten vor allem zeitlich verzögert, was auch eine qualitative Minderung des Heilungsergebnisses bedeuten kann, jedoch keine altersspezifischen therapeutischen Konsequenzen bei der Wundbehandlung erfordert. Denn eigentliche Wundheilungsstörungen, die ein ganzheitliches Wundbehandlungskonzept unumgänglich machen, ergeben sich zumeist erst durch die Auswirkungen altersbedingter Multimorbidität mit schlechtem Immunstatus und häufig anzutreffender Mangelernährung.


Die Autoren: Professor Dr. med. Walter O. Seiler, Emeritus Medical Consultant Universitätsspital Basel (emeritiert 2006 als Chefarzt der Akut­geriatrischen Universitätsklinik Basel) und Barbara Nusser, ehemalige Leiterin Medical Training bei der PAUL HARTMANN AG

Walter Seiler
Frau Nusser