Wir waren da

Die Pflege im Aufbruch

Das Thema Pflege ist in Deutschland nun endlich richtig angekommen – spätestens seit der Bundestagswahl 2017. Raimund Koch beschäftigt sich aber schon seit Langem mit der Situation von Pflegekräften – seit über 30 Jahren ist er Teil von HARTMANN und heute als gesundheitspolitischer Sprecher aktiv. Er war gerade bei der größten Branchenveranstaltung, dem Deutschen Pflegetag in Berlin. Was hat er vom Kongress mitgenommen?

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Dass sich die Pflegesituation in Deutschland aktuell in einer Krise befindet, ist nichts Neues. Dass die Weichen für Veränderungen jetzt gestellt werden müssen, um den Pflegenotstand zu entschärfen, auch nicht. Ich höre das seit Jahren regelmäßig bei Kongressen und Konferenzen. Auch beim diesjährigen Deutschen Pflegetag in Berlin wurde das Thema von den Rednern mehrfach deutlich betont. Aber wo steht die deutsche Pflege heute?

Lassen wir Zahlen sprechen

Aktuell fehlen bundesweit rund 70.000 Pflegefachkräfte. Bis 2030 könnte sich diese Lücke auf bis zu 480.000 Fachkräfte erhöhen. Eine Zahl, die für viele schwer greifbar ist. Ich gebe Ihnen ein praktisches Beispiel für die Arbeitsüberlastung: Eine Pflegefachkraft findet eine Heimbewohnerin morgens um 7.00 Uhr auf einer Toilette, wartend. Auf Nachfrage, wo die für sie zuständige Pflegekraft sei, erwidert die Frau, dass sie nachts um 2.00 Uhr von einer Nachtschwester zur Toilette gebracht worden sei, diese sie aber nicht mehr zurück ins Bett gebracht habe. Sie habe sie wohl vergessen. Unglaublich? Nein, es ist Realität in der Pflege. Untragbar ist es nicht nur für Patienten, auch für das zuständige Pflegepersonal, das die tägliche Arbeit kaum noch stemmen kann.

Dabei geht es nicht nur um die eigentliche Arbeitsbelastung. Auch die psychischen Herausforderungen sowie eine schlechte Vergütung lassen die Gedanken an einen Ausstieg aus dem Pflegeberuf laut werden. Mehr als 50 % der Pflegekräfte in Deutschland denken aufgrund der aktuellen Rahmenbedingungen über einen Ausstieg aus ihrem Beruf nach. Dies ergab der erstmals von uns durchgeführte Pflexit-Monitor, eine Umfrage von 300 Pflegekräften in Deutschland. Warum „Pflexit“? Diese Wortneuschöpfung aus „Pflege“ und „Exit“ soll den aktuellen Pflegenotstand verdeutlichen. Warum denken also so viele Pflegekräfte über einen Ausstieg aus ihrem Beruf nach? Hauptgrund ist vor allem der permanente Personalmangel – dies bestätigten fast drei Viertel aller Befragten – sowie die generell hohe Arbeitsbelastung. Nochmals den gleichen Beruf wählen würden lediglich 35 Prozent – 43 Prozent würden anderen Jobs nachgehen. Auch erschreckend: Nur knapp ein Drittel würde den Beruf weiterempfehlen. Wie würde es also sein, wenn nun rund 600.000 Pflegekräfte von heute auf morgen aussteigen? Wie kann man einen solchen, wenn auch nur theoretischen Exodus verhindern? Denn: die gleiche Umfrage belegt auch, dass Pflegekräfte ihren Job gerne ausüben – Menschen zu helfen ist Motivation und Antrieb. Sollte man das nicht honorieren?

Die Pflege definiert sich neu

Was ich vom Deutschen Pflegetag mitgenommen habe: die Pflege ist im Umbruch. Dabei geht es in erster Linie nicht nur um eine gerechte Vergütung, die das Attraktivitätslevel der Pflege als Beruf zumindest erhöhen soll. Ein Gesamtkonzept ist gefragt und wird von der Pflege aktiv eingefordert. Denn sie sieht sich mittlerweile als weitaus mehr als eine einfache Assistenz-Tätigkeit zur Unterstützung des Arztes.

Die Pflege fordert eine Anerkennung als eigenständige Profession. Sie soll mit anderen Berufsgruppen, z. B. den Ärzten, gleichgestellt und gleichberechtigt sein. Entscheidungen bei der Behandlung des Patienten mitzutreffen und deren Durchführung eigenständig zu gestalten soll nicht nur irgendwo in der Praxis hinter vorgezogenem Vorhang umgesetzt werden. Es soll fester Bestandteil der täglichen Arbeit der Pflegefachkräfte sein – Arbeiten auf Augenhöhe. Das wissenschaftliche Hintergrundwissen aufgrund der vorangetriebenen Akademisierung der Pflege und das praktische Wissen durch die tägliche Arbeit sind bereits vorhanden. Ebenso das Selbstbewusstsein der Pflege hierfür einzustehen – jetzt geht es um die Umsetzung, auch und vor allem auf politischer Seite.

Was in den vergangenen Jahren in der Politik nur schrittweise und sehr zögerlich beim Thema Pflege angegangen wurde, hat durch den neuen Gesundheitsminister Jens Spahn das Potenzial, aktiv umgesetzt zu werden. Das spürt man. Als neuen Pflegebeauftragten hat Spahn den ehemaligen Präsidenten des Deutschen Pflegerates, Andreas Westerfellhaus, benannt. Auch dies spricht dafür, dass die Politik der Pflege in ihren Forderungen entgegenkommen wird. Denn Westerfellhaus ist Experte und Praktiker – und hoch geschätzt bei den Pflegern. Doch auch Spahn stellte während des Deutschen Pflegetages fest: „Für all das, brauche ich Ihre Unterstützung.“ Und damit hat er wohl nicht ganz Unrecht.

Der Deutsche Pflegetag als Katalysator

Unterstützung erfährt die Pflege vor allem durch den Deutschen Pflegerat (DPR). Vor 20 Jahren wurde er als unabhängige Instanz gegründet, um die Positionen und Interessen der Pflegeorganisationen einheitlich zu vertreten – um der professionellen Pflege eine Stimme zu geben. Mit dem Deutschen Pflegetag hat der DPR 2014 ein Forum für die Pflege geschaffen, in dem hochrangige Vertreter aus Politik, Verbänden, der Wissenschaft und Wirtschaft die Zukunft des Pflegeberufs diskutieren.

Seit 2005 unterstützt HARTMANN den DPR finanziell und ideell, um das gemeinsame Ziel, die Pflege aufzuwerten, voranzutreiben und nimmt dabei ganz konkret die Pflegefachkräfte in den Blick. Denn wissen Sie, wer die Wund- oder Inkontinenzprodukte in der Praxis anlegt und den Patienten tagtäglich betreut? Das sind nicht die Ärzte, die diese Produkte verschreiben, sondern die Pflegefachkräfte! Sie wissen, worauf es ankommt, was gute Pflege ausmacht und wo Veränderungen nötig sind. Wenn wir wirklich etwas in der Pflegesituation bewegen wollen, müssen wir sie endlich an den Tisch holen. Es ist an der Zeit, verbindliche Entscheidungen voranzutreiben, die diesen Wandel und das Empowerment der Pflege unterstützen. Für eine starke Pflege, die wirklich allen zugute kommt.

Über HARTMANNs 200-jähriges Jubiläum


2018 feiert HARTMANN sein 200-jähriges Jubiläum. Bereits 2017 starteten wir mit dem Countdown zu den offiziellen Feierlichkeiten im Juni 2018. Erfahren Sie in unseren Geschichten, wie unsere Mitarbeiter und Partner dazu beitragen, das Gesundheitswesen voranzubringen und welche Trends und Themen die Gesundheitssysteme bewegen, für die wir uns einsetzen.