PFLEGEDIENST 1/2021

Die Dekubitusentstehung – ein multifaktorielles Geschehen Ein Dekubitus entsteht durch Druck (auch in Kombination mit Scherkräften), der auf ein lokal begrenztes Körperareal, meist über knöchernen Vorsprüngen, einwirkt. Da die obersten Haut- schichten (Epidermis) aus verhornenden Zell- schichten von hoher Festigkeit und Dichtigkeit ohne Blut- und Nervenversorgung bestehen, kön- nen sie lange hohem Druck standhalten, bevor es zur offensichtlichen Schädigung kommt. Somit ist davon auszugehen, dass die druckbedingten Schädigungen zuerst die tieferen Schichten wie Muskel- und Fettgewebe betreffen. Neben dem Hauptfaktor Druck ist aber auch eine nahezu endlose Liste von Risikofaktoren zu beachten, die jeweils auf unterschiedliche Art und Weise die Dekubitusentstehung beeinflus- sen können. Hilfreich bei der Einschätzung ist deshalb die Unterteilung von Dekubitusrisiken in primäre und sekundäre Risikofaktoren. Primäre Risikofaktoren beeinflussen den Mobi- litätsgrad des Patienten und führen damit zur riskanten Verlängerung der Druckeinwirkungs- zeit. Das größte Risiko besteht bei vollständiger bzw. totaler Immobilität, wenn keinerlei druck- entlastende Spontanbewegungen mehr mög- lich sind, beispielsweise bei Bewusstlosigkeit, Narkose oder vollständiger Lähmung. Ein hohes Gefährdungspotenzial ergibt sich auch bei relati- ver Immobilität, weil Spontanbewegungen mehr oder weniger eingeschränkt sind, zum Beispiel durch Sedierung, Frakturen, starke Schmerzen, Halbseitenlähmung oder Sensibilitätsstörungen unterschiedlicher Ursache. Besonders zu beachten: Der Risikofaktor Immobilität wird von der allgemeinen pflegeri- schen Versorgung (Grundpflege, Nahrungsauf- nahme usw.) beeinflusst, dabei entsteht üblicher- weise nachts ein kritisch langer Zeitraum ohne Aktivitäten. Diese Problematik trifft insbesondere alte Menschen, deren nächtliche, spontane Kör- perbewegungen entscheidend reduziert sind. Bei zusätzlichen Erkrankungen (Fieber, starke Schmerzen usw.) kann die Anzahl nächtlicher Körperbewegungen praktisch auf Null sinken: Ein Dekubitus entsteht hauptsächlich nachts! Als sekundäre Risikofaktoren gelten alle Zustände und Krankheitsbilder, die vor allem die Funktionsfähigkeit und Widerstandskraft der Haut beeinträchtigen, sodass es bereits bei kur- zen Druckeinwirkungen zur Schädigung kommen kann. Beispiele hierfür sind Fieber (> 38 °C), Infek- tionen, Malnutrition, Kachexie, dünne, trockene, rissige Altershaut, Hautkrankheiten oder maze- rierte, aufgeweichte Haut bei Inkontinenz. Internationale Dekubitusklassifikation Kategorie I: nicht wegdrück- bare Rötung bei intakter Haut, gewöhnlich über einem knöchernen Vorsprung Kategorie II: Teilverlust der Haut (bis in die Dermis / Leder - haut), sichtbar als flacher, offener Ulkus Kategorie III: Verlust der Haut, Zerstörung aller Hautschichten, subkutanes Fett kann sichtbar sein, jedoch keine Knochen Kategorie IV: vollständiger Haut- oder Gewebeverlust mit freiliegenden Knochen, Sehnen Muskeln Zusätzliche Kategorie: unein- stufbar / nicht klassifizierbar – unbekannte Tiefe, tatsächliche Tiefe ist im Wundbett verdeckt Zusätzliche Kate- gorie: vermutete tiefe Gewebe- schädigung – unbekannte Tiefe, Schmerzhaftig- keit des Gewebes kann vorausgehen Dekubitusleitlinie 2015 der ICW – Mit freundlicher Genehmigung der Initiative Chronische Wunden Kurzfristig kann die Haut selbst stärkere Druckein- wirkungen ohne Schädigung über- stehen. Bleibt die Druckeinwirkung jedoch bestehen, kommt es in den belasteten Hautzel- len durch die sich zunehmend verstär- kende Minderdurch- blutung zur kom- pletten Ischämie und zum Absterben der Hautzellen. Druck / Druckverweildauer lokale Minderdurchblutung Sauerstoffmangel /Anhäufung toxischer Stoffwechselprodukte Erhöhung der Kapillarpermeabilität, Gefäßerweiterung, zelluläre Infiltration, Ödembildung Blasenbildung komplette Ischämie, irreversibles Absterben der Hautzellen Geschwür / Nekrose Entstehung eines Dekubitus 9 HARTMANN PFLEGE DIENST 1/2021 WISSEN

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