PflegeDienst 2/2020

urgischer Versorgung eine Kette schwerwiegender Probleme: Sie mindern die Mobilität, führen oft in die Pflegebedürftigkeit und erhöhen die Mortalität. Risiken birgt aber auch die medikamentöse The- rapie der Harninkontinenz mit anticholinerg wir- kenden Substanzen, die im Gehirn die Wirkung des Neurotransmitters Acetylcholin vermindern. Da auch für andere Erkrankungen Anticholinergika einge- setzt werden, kann sich die anticholinergische Last bedenklich erhöhen und zur Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten führen. Dies beschleunigt gerade bei älteren Menschen den geistigen Abbau mit der Folge, dass sich die Gebrechlichkeit ver- schlimmert und damit der Pflegeaufwand immer höher wird. Folgeproblem Hautschäden Wo eine Inkontinenzversorgung notwendig ist, sind Hautprobleme nicht weit. Experten in Forschung und Praxis sehen darin heute die wichtigste Langzeitkom- plikation bei inkontinenten Personen. Verschiedene Studien haben bei 42,5% aller Betroffenen irritative Hautveränderungen wie Rötun- gen, allergisch bedingte Reizungen oder auch eine inkontinenzassoziierte Dermatitis (IAD), umgangs- sprachlich Windeldermatitis, nachgewiesen. [1] In 6,9% der Fälle mussten die Betroffenen ärztlich behandelt werden. [2] Eine beginnende IAD zeigt sich als Rötung (Ery- them) und geht bei Nichteinschreiten in eine ausge- prägte Entzündungsreaktion der Haut mit Bläschen- bildung, Nässen und Krustenbildung über. Bei derart geschädigter Haut besteht zudem immer ein großes Risiko für eine oberflächliche, bakterielle Infektion (Erythrasma). Aber auch eine sehr schmerzhafte und belastende Candidainfektion (Candidose) im Genital- bereich ist eine häufige Komplikation. Es kann aber auch noch schlimmer kommen. Aufgequollene und mazerierte Haut führt bei Druckeinwirkung nicht selten zu einem Dekubitus, dessen Ausheilung sehr lange dauern kann. Therapien der Harninkontinenz Harninkontinenz ist in vielen Fällen behandelbar oder kann zumindest soweit rehabilitiert werden, dass der Betroffene nicht in die soziale Isolation gerät. Allerdings gibt es nicht die Therapie schlechthin, viel- mehr müssen je nach Form und Schweregrad der Harninkontinenz individuelle Behandlungskonzepte ausgearbeitet werden. Bei der Behandlung der Harninkontinenz im Alter dominieren konservative Therapiekonzepte wie 7 Beckenbodentraining zur gezielten Stärkung der Beckenbodenmuskeln, eventuell in Kombination mit Elektrostimulation und Bio-Feedback 7 Toilettentraining zur Verbesserung des Miktions- verhaltens, um Inkontinenzepisoden zu vermeiden 7 Medikamente, die bei Dranginkontinenz den quä- lenden Harndrang reduzieren. Zunehmend werden aber auch operative Möglich- keiten genutzt. Sie ergeben sich vor allem bei der Belastungsinkontinenz der Frau. Entsprechend den Fortschritten in der Chirurgie profitieren davon heute auch ältere Frauen, vorausgesetzt, es wurde durch Keine Angst vor der Inkontinenzdiagnose Inkontinenz kommt nicht einfach so, und es gibt keinen inkontinenten Menschen, bei dem die Frage nach dem „Warum“ zwecklos wäre. Denn ist die Ursache nicht geklärt, können auch Behandlung oder Pflegemaßnahmen nicht erfolgreich sein. Die Diagnose wird durch den Arzt gestellt, wobei der vertraute Hausarzt der erste richtige Ansprechpartner ist. Die Betrof- fenen selbst, pflegende Angehörige oder betreuende Pflegekräfte können aber durch entsprechende Selbst- oder Fremdbeobach- tungen, die dem Arzt mitgeteilt werden, viel zur Ursachenabklärung beitragen. Diagnostisches Vorgehen Das diagnostische Vorgehen ist stufenweise aufgebaut. Die hausärztliche Basisdia- gnostik ist als Grundlage für Therapie, Kontinenzförderung und entsprechende Pflegemaßnahmen vielfach ausreichend. Die weiterführende Spezialdiagnos- tik (urodynamische Untersuchungen) erfolgt bei Verdacht auf Komplikationen durch Grunderkrankungen (Entzündung, Obstruktion, Tumor usw.) durch die eine Harninkontinenz einen gefährlichen Verlauf nehmen kann. Maßnahmen der Basisdiagnostik Anamnese: Befragung des Betroffenen zu auftretenden Symptomen und äußeren Umständen wie z. B. wann und wie oft kommt es zum ungewollten Harnverlust. Urinuntersuchung: zum Aufdecken von Harnwegsinfektionen Ultraschalluntersuchung: Eine Sono- graphie der Harnblase ist ein sicheres und den Patienten nicht belastendes Verfahren, hauptsächlich, um Restharn festzustellen. Körperliche Untersuchung: zum Beispiel Überprüfung der Mobilität, ggf. Demenz- test, Aufdecken eines Gebärmuttervorfalls, beim Mann Untersuchung des äußeren Genitals und rektal-digitale Palpation zum Aufdecken von Prostataproblemen.  Mehr zur Hautgesundheit bei Inkontinenz auf den Seiten 13 bis 15. 1 Junkin et al., J Wound Ostomy Continence Nurs. (2007) 34:260-9 2 Bliss et al., Nurs Res. (2006) 55:243-51 Wissen 11 HARTMANN PflegeDienst 2/2020

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