DESINFACTS | Ausgabe 1/2022

Deutlich dramatischere Entwicklungen wurden jedoch in den USA beobachtet [2,3]. Dort stiegen vor allem die Raten Katheter-assoziierter Blutstrom- und Harnwegsinfekte, Beatmungs-assoziierter Infektionen sowie Infektionen mit Methicillin-resistenten S. aureus (MRSA) im 2. Quartal 2020 um bis zu ein Drittel an, gingen dann aber im Gegensatz zu den deutschen Zahlen nicht zurück, sondern stiegen sogar weiter um bis zu 47 % [2]. Die Präsidentin der Association for Professionals in Infection Control and Epidemiology (APIC) Ann Marie Pettis sieht darin einen Weckruf und befürchtet sogar einen generellen Rückschritt beim Kampf gegen Krankenhausinfektionen [5]. Interessanterweise betraf der Anstieg jedoch nicht sämtliche NI. Infektionen mit C. difficile waren die einzigen, die im gesamten Jahresverlauf sanken [2] bzw. gleichblieben [3]. Auch postoperative Wundinfektionen nahmen zumindest in der 2. Jahreshälfte ebenfalls ab [2], was an der Verschiebung geplanter Operationen liegen könnte. Auch Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen betroffen Dass die Zunahme der NI-Raten nicht nur Länder mit hohem Einkommen betraf, zeigt eine aktuelle Publikation, die auf Daten aus Indien, der Mongolei, Jordanien, Libanon, Palästina, Ägypten und der Türkei zurückgreift [4]. Auch in diesen Ländern waren Katheter-assoziierte Blutstrominfektionen am stärksten vom Anstieg betroffen – insgesamt nahm die Rate 2020 um 85 % gegenüber 2019 zu, während die Mortalität um 42 % anstieg [4]. Dennoch sind sämtliche national erhobenen Daten schwer miteinander vergleichbar, denn einige Faktoren – wie das Ausmaß der ersten Welle oder die allgemeine Ausstattung des Gesundheitssystems – unterscheiden sich zwischen allen Ländern teils erheblich. Vulnerableres Patientenklientel und Engpässe bei der Schutzausrüstung Während sich in Deutschland der Einbruch der Fallzahlen leicht mit dem pandemiebedingten Vorhalten von Krankenhauskapazitäten erklären lässt [1], gibt es für den prozentualen NI-Anstieg keine eindeutige Erklärung. Hier spielen verschiedene komplexe Faktoren eine Rolle. Möglich ist, dass dies unter anderem dem veränderten Patientenklientel geschuldet ist, da unter den COVID-19-Patient/innen im ersten Jahr der Pandemie vorwiegend ältere, oftmals vorerkrankte Personen waren [1-4]. Die Akuität und Schwere der Fälle spiegelte sich auch in längeren Liegezeiten wider [2,4]. Auch pandemiebedingt geänderte Abläufe sowie anfängliche Engpässe bei der Schutzausrüstung und Überforderung beim Personal könnten zum Anstieg beigetragen haben. Dies legt eine aktuelle Publikation nahe, die auf Erfahrungen von 73 in der APIC organisierten Hygienefachkräften (HFK) basiert. Beinahe 90 % gaben an, dass sie in der frühen Pandemie einen Krisenstandard in der Versorgung mit persönlicher Schutzausrüstung (PSA) implementieren mussten [6]. Das bedeutet, dass Atemschutzgeräte, Masken und Isolationskittel länger verwendet, wiederverwendet oder rationiert werden mussten. Außerdem berichteten knapp 55 %, dass ihnen während der Pandemie mindestens eine Art von PSA ausging [6]. Die Studie zeigt, dass HFK besonders zu Pandemiebeginn mit multiplen Herausforderungen konfrontiert waren, wie z. B. sich häufig ändernden und widersprüchlichen Vorgaben, Personalfluktuation, Mangel an Ressourcen für die Schulung neuer Beschäftigter und erhöhter Arbeitsbelastung. Denkbar ist auch, dass sich dies auf die routinemäßige Surveillance ausgewirkt hat, was zu höheren NI-Raten beigetragen haben könnte [6]. Fazit: Alles in allem erlauben die bislang vorliegenden Ergebnisse keine voreiligen allgemeinen Rückschlüsse, etwa auf unzureichende Hygiene während der Pandemie. Vielmehr unterstreichen die Daten die Wichtigkeit einer umfassenden Infektionsprävention, gerade in Krisenzeiten wie der Pandemie und bei der Versorgung von schwerkranken Patient/innen. Es bleibt zu beobachten, wie sich der Trend in den kommenden Jahren entwickelt. 20 WISSEN

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