Die Kompressionstherapie - unverzichtbar, aber oft problematisch

Die Kompressionstherapie zur Behandlung von Venenleiden und venösen Ulzera ist eine unverzichtbare Maßnahme. Allerdings gehört sie auch zu den von Patienten häufig abgebrochenen Behandlungen. Über das Warum und Weshalb sprach das WundForum mit Prof. Dr. med. Stefanie Reich-Schupke.

Prof. Dr. med. Stefanie Reich-Schupke hat die Stiftungsprofessur Phlebologie inne und leitet das Phlebologische Studienzentrum am Venenzentrum der Dermatologischen und Gefäßchirurgischen Kliniken der Kliniken der Ruhr-Universität Bochum. Ihrem Studium der Humanmedizin an der Ruhr-Universität Bochum folgten Stationen als Fach- und Oberärztin im Bereich Phlebologie. Für die Forschung zu Ulcus cruris und chronisch-venöser Insuffizienz erhielt sie 2008/2009 ein wissenschaftliches Stipendium. Reich-Schupke wurde vielfach für ihre phlebologischen Studien ausgezeichnet. Unter anderem erhielt sie 2008 den HARTMANN-Preis der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie. Sie ist darüber hinaus Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler wissenschaftlicher Fachgesellschaften für Phlebologie, Dermatologie und Lymph­ologie.

Warum ist die Kompressionstherapie bei der Behandlung von Venenleiden so wichtig?

Stefanie Reich-Schupke: Die Anwendung von Kompressionsmaßnahmen hat seit Jahrtausenden ihren Platz in der Behandlung von Wunden und Ödemen. Auch in der modernen Medizin gilt die Kompressionstherapie als Basismaßnahme bei Venenleiden. Entsprechend der aktuellen Studienlage sollte, wann immer möglich, eine kausale Therapie des Venenleidens erfolgen. Ergänzend oder wenn eine kausale Therapie nicht möglich oder gewünscht ist, sollte mindestens eine Kompressionstherapie erfolgen. Sie ist in der Lage, den Venenquerschnitt zu reduzieren, den venösen Rückfluss zu steigern, Ödeme zu reduzieren und die Entzündungsaktivität zu mindern. Damit unterstützt die Kompression des Beines das Abheilen florider venöser Ulzerationen und verhindert das Neuauftreten solcher Wunden. So können sowohl der Progress als auch Komplikationen eines Venenleidens beherrscht werden.

Woran liegt es, dass die Kompressionstherapie von Patienten abgebrochen wird?

Die Gründe dafür sind vielfältig. Patienten brechen unseren Erfahrungen nach eine Kompressionstherapie ab oder führen sie nicht konsequent durch, wenn

  • vorher keine adäquate Diagnostik durchgeführt wurde, die die Indikation sichert und dem Patienten die Notwendigkeit der Therapie verdeutlicht;
  • der Patient keine ausreichende Aufklärung über den Wert der Kompressionstherapie erhält – weder vom Arzt noch vom Sanitätsfachhandel. Damit meine ich nicht nur die Wirksamkeit der Therapie, sondern auch den Wert des Materials. Viele Patienten sind erstaunt, wenn sie hören, wie teuer die heute verwendeten Hightech-Kompressionsmaterialien sind;
  • dem Patienten nicht klar ist, wie er die Therapie möglichst einfach anwenden kann, bzw. welche Hilfsmittel ihm zum Beispiel für das An- und Ausziehen zur Verfügung stehen;
  • die ausgewählte Art der Kompressionstherapie (zum Beispiel Strümpfe oder Verbände) nicht zum Patienten und seinen Gewohnheiten passt. Die verschiedenen Materialien unterscheiden sich erheblich und bieten neben der klinischen Wirksamkeit deutliche Unterschiede in Anlage und Tragekomfort;
  • dem Patienten keine ausreichende Anzahl an Kompressionsmitteln zur Verfügung steht, um sie tatsächlich täglich einsetzen zu können. In solchen Fällen werden Kompressionsverbände oft deutlich länger eingesetzt, als sie sollten;
  • keine adäquate und regelmäßige Hautpflege begleitend zur Kompressionstherapie erfolgt. Unweigerlich auftretende Rötungen werden fälschlicherweise als Unverträglichkeit und / oder Allergie gedeutet.

Wie muss ein Kompressionsverband angelegt werden, um wirksam zu sein?

Es haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte verschiedenste, zum Teil mit Eigennamen belegte Techniken zur Anlage eines Kompressionsverbandes etabliert. Mir ist keine Untersuchung bekannt, die den Vor- oder Nachteil der verschiedenen Techniken gegeneinander untersucht bzw. Defizite ausgemacht hat.

Allen gemeinsam ist letztlich ein für die Indikation geeigneter Kompressionsdruck und das komplette Einbinden des Fußes (beginnend am Zehengrundgelenk, die Ferse einschließend). Der Druck sollte entsprechend den aktuell gültigen Leitlinien von distal nach proximal abnehmen.

Vorteilhaft im praktischen Alltag und zur Prävention von Hautschädigungen oder -irritationen haben sich Unterpolsterungen vor allem in der Entstauungstherapie und bei der Anwendung von Kurzzugbinden erwiesen.

Welche Kompressionsmaterialien gibt es?

Zur Kompressionstherapie in der Akutphase gibt es Kurz- und Langzugbinden undverschiedenste Polstermaterialien (CAVE: Verordnungsfähigkeit) bei denen verschiedene Verbandmaterialien kombiniert enthalten sind. Zur Erhaltungstherapie stehen medizinische Kompressionsstrümpfe in entsprechenden Kompressionsklassen zur Verfügung.

Wie erhalten Pflegekräfte die Kompetenz zu wickeln?

Entsprechend unserer Erfahrungen sowie auch nachgewiesen durch zahlreiche Befragungen und Studien ist die Kompetenz zur Kompressionstherapie leider nicht Basis der pflegerischen (und ärztlichen) Ausbildung. Meist spielt die Kompression nur wenige Stunden eine Rolle im Unterricht oder wird erst im Praxisalltag relevant. Vielfach gilt dann „learning by doing“ sowie „trial and error“. Glücklicherweise gibt es heute von verschiedensten Anbietern Aus- und Weiterbildungen, die einen Schwerpunkt auf die Kompressionstherapie und richtige Anwendungstechniken setzen.

Wo sehen Sie Verbesserungs- bzw. Optimierungsbedarf beim Thema Kompression?

Die Kompressionstherapie wird leider vielfach in ihrer Wertigkeit und Wirksamkeit unterschätzt. An diesen Defiziten gilt es zu arbeiten. Einige gravierende sind:

  • Es braucht eine suffiziente Diagnostik vor Beginn einer Therapie. Es ist immer wieder erschreckend, dass zum Beispiel 50 Prozent der Patienten mit einem chronischen Ulcus cruris venosum, also mit einer harten Indikation zur Kompressionstherapie, keine Kompression, aber auch keine Gefäßdiagnostik erhalten. Es kann jedoch erst eine adäquate Therapie erfolgen, wenn die Diagnose steht. Das Ulcus cruris ist nun einmal nur ein Symptom, keine Diagnose.
  • Der Wert der Kompressionstherapie muss bei Ärzten, Pflege und Patienten bekannter werden. Leider ist die Kompressionstherapie immer wieder – zu Unrecht – in die Kritik geraten. Zumeist liegt die Kritik aber nicht an der Therapie selbst, sondern hat ihren Ursprung in der falschen Umsetzung und Anwendung der Kompressionstherapie. Entsprechend muss auch die Umsetzung im klinischen Alltag verbessert werden.
  • Dringend erforderlich ist auch eine Verbesserung der Kenntnisse über die Kompressionstherapie bei den verordnenden Ärzten. Spätestens seit der aktuellen mediven-Studie [1]wissen wir, dass selbst vermeintliche Spezialisten die Kompressionstherapie nicht adäquat verordnen bzw. Maßnahmen verordnen, die für den individuellen Patienten sogar ungeeignet sind.
  • Laut einer Allensbach-Umfrage [2] werden nur circa 50 Prozent der Kompressionstherapien vom verordneten Arzt kontrolliert. Auch das sollte sich ändern.