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Pflegeberufereform abseits
der Generalistik-Debatte

Nach über zehn Jahren der Diskussionen sowohl auf Bundes- und Landesebene, mit Wohlfahrtsverbänden, mit Anbietern in der ambulanten Pflege, Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen scheint das Gesetz zur Reform der Pflegeberufe nun doch noch in dieser Legislaturperiode in Rechtskraft zu erstarken.

von Michael Schanz, Chefredakteur und Geschäftsführer „Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen“

Das „Pflegeberufereformgesetz“, abgekürzt „PflBG“, soll die Attraktivität der Pflegeberufe steigern und dem wachsenden Bedarf an Pflegekräften nachkommen. Im Kern setzt der Gesetzgeber dabei auf die – umstrittene – Generalisierung der Pflegeberufe, d. h. die bislang getrennten Ausbildungsberufe in der Altenpflege sowie in der Gesundheits- und Krankenpflege / Gesundheits- und Kinderkrankenpflege werden zu einem einheitlichen, neuen Berufsbild mit der Berufsbezeichnung „Pflegefachfrau“ oder „Pflegefachmann“ zusammengeführt (vgl. § 1PflBG).

Die Ausbildung dauert in Vollzeit – wie bisher – drei Jahre und gliedert sich in theoretischen und praktischen Unterricht an Pflegeschulen und eine praktische Ausbildung.

Die praktische Ausbildung erfolgt für alle Auszubildenden in den Einsatzbereichen der allgemeinen Akut- und Langzeitpflege, sowohl ambulant als auch stationär sowie in der pädiatrischen und psychiatrischen Versorgung. Über einen Vertiefungseinsatz soll in einem dieser Bereiche ein Ausbildungsschwerpunkt gesetzt werden können.

Vorbehaltene Tätigkeiten

Die Schlüsselkompetenz des neuen Berufsbildes besteht in der Steuerung und Gestaltung von komplexen Pflegeprozessen in der unmittelbaren Pflege von Menschen aller Altersstufen unter Einbeziehung ihrer Angehörigen und Bezugspersonen. Gesundheitsfördernde und präventive, kurative, rehabilitative und palliative sowie sozialpflegerische Dimensionen werden vom Ausbildungsziel umfasst (vgl. § 5 PflBG).

Der spezifischen Kompetenz von Pflegefachpersonen wird im Gesetzentwurf, insbesondere mit dem Blick auf die besondere Verantwortung für komplexe Pflegesituationen, erstmals durch die klare Definition von vorbehaltenen Tätigkeiten, welche sich auf „die Erhebung und Feststellung des individuellen Pflegebedarfs“ (Pflegediagnostik), „die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses“ sowie auf „die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege“ beziehen, Rechnung getragen (vgl. § 4 PflBG).

Hierdurch werden die benannten Kompetenzen von Pflegefachpersonen im Bereich der Sicherung und Entwicklung der Qualität von Pflege nun erstmals legislativ (gesetzlich) anerkannt.

Visite im Krankenzimmer

Primärqualifizierendes Pflegestudium

Neben dieser verantwortungsvollen, eigenständigen Aufgabenzuweisung gleicht das Pflegeberufereformgesetz auch das hochschulische Ausbildungsniveau dem internationalen Standard an. Das berufliche Qualifikationsprofil wird um die Möglichkeit eines primärqualifizierenden Pflegestudiums auf Bachelor-Niveau erweitert. Die §§ 37-39 PflBG regeln zukünftig die Ausbildungsziele, die Durchführung und den Abschluss der sechs bis acht Semester langen hochschulischen Pflegeausbildung.

Fortan ist den Studierenden in der Pflege damit der unmittelbare Hochschulzugang möglich, d. h. eine vorhergehende Pflegeausbildung soll keine zwingende Zulassungsvoraussetzung für das Pflegestudium mehr darstellen. Diese neue akademische Option entspricht nun endlich den Grundlagen des Bologna-Prozesses und berücksichtigt die Vorgaben der Berufsanerkennungsrichtlinie 2005/36/EG.

Übertragung der Heilkunde

Weitere Veränderungen in den pflegerischen Tätigkeitsfeldern, die auch Veränderung im Gefüge des Arzt- und Pflegeberufes bewirken werden, knüpfen an das Pflege-Weiterentwicklungsgesetz an, das bereits zum 1. Juli 2008 die Kompetenzgrenzen in der Pflege perspektivisch ausgedehnt hat.

Den Krankenkassen wurde seinerzeit in § 63 SGB V die Möglichkeit eingeräumt, Behandlungs- und Verordnungstätigkeiten, die Ärzten vorbehalten waren, in Modellprojekten probeweise auf Pflegekräfte zu übertragen (§§ 63 Abs. 3b und 3c SGB V). Zur genaueren Bestimmung der Art und des Umfanges der im Rahmen von Modellvorhaben zu übertragenden Tätigkeiten hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) – als oberstes Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen – in der Folge eine Richt-
linie zur Übertragung der Heilkunde erarbeitet.

Die sog. „Heilkundeübertragungsrichtlinie“ legt im einzelnen fest, welche heilkundlichen Aufgaben im Rahmen von Modellvorhaben auf Pflegekräfte übertragen werden dürfen, um von diesen selbstständig und eigenverantwortlich ausgeübt zu werden. Die Richtlinie regelt ferner, über welche besondere Qualifikation eine Pflegekraft verfügen muss, damit von ihr eine bestimmte heilkundliche Tätigkeit ausgeführt werden darf.

Die Heilkundeübertragungsrichtlinie besteht aus einem allgemeinen Teil (Teil A) und einem konkretisierenden besonderen Teil (Teil B). Im Teil A werden die allgemeinen Anforderungen an die Modellvorhaben geregelt; der Teil B konkretisiert demgegenüber abschließend, welche ärztlichen Tätigkeiten übernommen werden dürfen. Diese haben typischerweise einen interdisziplinären und sektorenübergreifenden Charakter, sodass dem Bereich der Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden in diesem Zusammenhang eine exemplarische Bedeutung zukommt. Trotz dieser präzisen regulatorischen Vorgaben hat eine bundesweit einheitliche Entwicklung der Übertragung heilkundlicher Aufgaben auf Pflegepersonal inklusive Verordnungskompetenz für Verbandmaterialien und Hilfsmittel bis heute nicht stattgefunden. Unterschiedliche Widerstände ließen verschiedene Initiativen in diesem sozialrechtlich und gesellschaftspolitisch wichtigen Behandlungsumfeld erlahmen.

Das Pflegeberufereformgesetz greift nun diesen Missstand in verschiedener Weise auf. Zunächst wird die Erprobung von Ausbildungsangeboten, die der Weiterentwicklung von Modellvorhaben nach § 63 Absatz 3c SGB V dienen, über die §§ 14, 15 PflBG grundsätzlich in das neue Berufsrecht der Pflege eingebunden. Die Durchführung von Modellvorhaben soll zukünftig für die Ausbildungsstätten erleichtert werden, indem diese auf standardisierte Module zur Vermittlung der erweiterten Kompetenzen bei der Ausübung von Heilkunde zurückgreifen können (vgl. § 14 Abs. 4 PflBG). Der Rückgriff auf diese dann bereits bestehenden, ministeriell genehmigten und systematisch erarbeiteten Ausbildungsmodule soll die Gestaltung von Lehrplänen vereinfachen und vereinheitlichen.

Insoweit ist damit zu rechnen, dass die Aufnahme von Modellvorhaben in der Zukunft an Attraktivität gewinnen wird. Zugleich greift das Pflegeberufereformgesetz die seit Einführung des § 63 Abs. 3c SGBV bestehende Blockadehaltung seitens der Krankenkassen auch direkt an: Die im Gesetzentwurf vorgesehene Neuformulierung von § 63 Abs. 3c SGBV verpflichtet die Krankenkassen und ihre Verbände nunmehr ausdrücklich, entsprechende Vorhaben bis zum 31. Dezember 2018 zu initiieren!

Fazit

Es greift deutlich zu kurz und wird der Bedeutung des Pflegeberufereformgesetzes nicht gerecht, wenn die Inhalte auf die Vereinheitlichung der pflegerischen Berufsbilder reduziert werden. Neben der generalistischen Pflegeausbildung bietet der Gesetzentwurf deutlich mehr Innovationspotenzial, das in den Diskussionen der Vergangenheit kaum angemessen gewürdigt worden ist. In der stationären Krankenhausbehandlung und in der vertragsärztlichen Versorgung werden zunehmend Versorgungsengpässe beklagt. Die Entwicklung und der Einsatz von Pflegefachkräften in neuen eigenständigen Berufsfeldern können der Überlastung der Ärzteschaft entgegenwirken. Die Chance der modellhaften Erprobung einer Systemverbesserung darf nicht von Vertretern partikularer Interessen auf das Spiel gesetzt werden. Es bleibt daher zu hoffen, dass der Entwurf des Pflegeberufereformgesetzes nun auch die letzten Hürden des Gesetzgebungsverfahrens nimmt und schon bald mit Leben gefüllt wird.

Der Autor: Michael Schanz, Chefredakteur und Geschäftsführer „Rechtsdepesche für das Gesundheitswesen“, Spezialgebiet Arzt- und Pflegerecht, Salierring 48, 50677 Köln, E-Mail: schanz@rechtsdepesche.de

Michael Schanz