Venenleiden im Alter:
keine harmlose Sache

Mit Ausnahme der Emboliegefahr durch eine tiefe Beinvenenthrombose sind Venenleiden zwar nicht lebensbedrohlich, sie sind jedoch oft mit großen Behinderungen für den älteren Menschen verbunden. Nicht selten führen sie zum Verlust der Eigenständigkeit.

von der HARTMANN Online-Redaktion
Der Kummer mit den Beinen ist weitverbreitet. Schätzungen zufolge weisen etwa 80 Prozent der Deutschen mehr oder weniger starke Veränderungen an den Venen auf. Rund zehn Millionen Bundesbürger leiden bereits an einer Venenerkrankung, und etwa zwei Millionen sind mit einem venös bedingten Unterschenkelgeschwür, einem Ulcus cruris venosum geplagt.

Venenveränderungen zeigen sich meist früh – bei Frauen etwa zwischen dem 20. und 30. und bei Männern zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr –, nehmen jedoch im Alter nochmals an Häufigkeit zu, wie mit der Bonner Venenstudie aus den Jahren 2002 / 2003 nachgewiesen wurde.

Venenleiden reduzieren Lebensqualität im Alter

Da sich Venenleiden vielfach schon in jüngeren Jahren zeigen, teilweise auch mit Ulkusbildung, können sie nicht als alterstypische Erkrankungen angesehen werden. Die normalen Alterungsprozesse führen aber auch im Falle von Venenleiden zu einer mitunter gravierenden Verschlechterung des Krankheitsbildes.

Ein bedeutender Einflussfaktor ist der zunehmende Elastizitätsverlust der Blutgefäße und damit auch der Venen. Dies verstärkt beispielsweise eine vorliegende Venenschwäche, die in der Fachsprache als chronisch venöse Insuffizienz (CVI) bezeichnet wird. Im degenerativ veränderten Hautbindegewebe kommt es dann schneller zur Ausbildung eines Unterschenkelgeschwürs.

Das Alter bringt es auch mit sich, dass oft gleichzeitig mehrere Krankheiten bestehen, was als Multimorbidität bezeichnet wird. Auswirkungen auf Venenleiden haben beispielsweise Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, mit denen immer eine verminderte Elastizität der Blutgefäße verbunden ist. Aber auch Diabetes mellitus kann sich mit seinen gefäßschädigenden Spätfolgen äußerst ungünstig auf bestehende Venenerkrankungen auswirken.

Besondere Probleme ergeben sich zudem, wenn ein Venenleiden seit vielen Jahren besteht und das Bein für weitere Erkrankungen immer anfälliger wird: Beispielsweise begünstigt die chronisch venöse Stauung degenerative Gelenkerkrankungen oder Spitzfußbildung. Eine hohe Gefährdung besteht durch Hauterkrankungen wie Pilzerkrankungen der Nägel oder auf den gesamten Unterschenkel übergreifende Infektionen durch Streptokokken (Erysipel und Ekthyma). Zu beachten ist auch eine zunehmende Allergiebereitschaft auf alle möglichen Substanzen wie Salben, Cremes oder Hautdesinfektionsmittel, die oft im Laufe der langen Therapiezeit wahllos zur Anwendung kommen.

Erscheinungsbilder von Venenerkrankungen

Etwas Basiswissen hilft, Venenleiden und ihre Auswirkungen besser zu verstehen, denn das Krankheitsgeschehen ist äußerst vielschichtig.

Dicke, geschwollene Beine sind das erste Zeichen dafür, dass das Venensystem nicht mehr so funktioniert, wie es sollte. Mit der Zeit sammelt sich vor allem in den Unterschenkeln Wasser im Gewebe. Es entstehen Ödeme (Abb. 1/2), hinter denen sich bereits eine erhebliche Störung im venösen Transportsystem verbirgt. Die kleinsten direkt sichtbaren Veränderungen an den Venen sind die sog. Besenreiser. Auch wenn diese bläulich-rot erweiterten Venen eigentlich noch gar keine richtige Krankheit sind, können sie doch ein frühes Anzeichen für Störungen sein.

Bei den Krampfadern (Abb. 3) handelt es sich bereits um ein offensichtliches, manifestes Venenleiden. Entstehen dabei die Krampfadern im oberflächlichen Venensystem, direkt unter der Haut, wird dies als „primäre Varikosis“ bezeichnet. „Sekundäre Varizen“ zeigen sich zwar auch auf der Beinoberfläche, entstehen aber meist durch Thrombosen im tiefen Venensystem.
[1/2] Das Lymphödem als erster sichtbarer Hinweis auf eine Veneninsuffizienz zeigt sich durch eine eindrückbare Schwellung mit Umfangvermehrung. [3] Krampfadern sind kein bloßer „Schönheitsfehler“. Gefäßerweiterung und Klappeninsuffizienz können auf tiefe Venen übergreifen und zur CVI führen.
Primäre Varizen werden des Weiteren danach bezeichnet, welchen Venenabschnitt sie betreffen. Eine Varize der Rosenader wird beispielsweise als Stammvarikose bezeichnet, Seitenastvarizen treten in den Nebenarmen der Hauptvenen auf.

Sind erst einmal Varizen vorhanden, können hier äußerst unangenehme Komplikationen wie eine Krampfaderblutung oder Krampfaderentzündung (Varikophlebitis) auftreten.

Problematisch kann es auch werden, wenn sich im Venensystem ein Blutgerinnsel (Thrombus) bildet. Die Auswirkungen auf die Blutzirkulation sind dabei abhängig vom Ausmaß und Sitz der Thrombose.

Die Störungen sind relativ unerheblich, wenn der thrombotische Prozess im oberflächlichen Venennetz abläuft, was als Thrombophlebitis bezeichnet wird. Der Thrombus haftet in diesem Bereich zumeist fest an der Veneninnenwand, sodass bei der geringen Strömung keine Emboliegefahr besteht.

Bedrohlich wird es, wenn die Thrombose das tiefe Venensystem betrifft. Eine Phlebothrombose ist die schwerste Venenerkrankung überhaupt und kann eine tödlich verlaufenden Lungenembolie zur Folge haben.

Wird eine Thrombose nicht rechtzeitig – am besten sofort – behandelt, kann es außerdem zu dauerhaften und schwerwiegenden Schäden kommen, die unter dem Begriff „postthrombotisches Syndrom“ (PTS) zusammengefasst werden. Dazu zählen sekundäre Varizen, schwere Ödeme, verschiedene Hautveränderungen, juckende Ekzeme und im schlimmsten Fall das „offene Bein“, wie das Ulcus cruris venosum umgangssprachlich bezeichnet wird. Die Entwicklung dieser klinischen Erscheinungsbilder gehört auch zum Symptomenkomplex der chronisch venösen Insuffizienz.

Primavistadiagnosen von Beinauffälligkeiten

„Prima vista“ bedeutet „auf den ersten Blick“ etwas erkennen – und sehr oft ist es das wachsame Auge einer Pflegefachkraft, die erkennt, dass sich Probleme und Verschlechterungen des Zustandes anbahnen.

Das „dicke“ Bein

Hinter Ödemen kann sich mehr als eine Ursache verbergen. Venöse Ödeme entstehen vor allem links und rechts von der Achillessehne (Bisgaardsche Kulisse). Sie zeigen sich zunächst als weiche Schwellungen, die sich über Nacht noch zurückbilden. Mit fortschreitender CVI reicht die nächtliche Bettruhe jedoch zur Rückbildung nicht mehr aus. Ein über Jahre bestehendes venöses Ödem kann sich dann zu einem sekundären Lymphödem entwickeln.

Aber auch Nieren- und Herzerkrankungen können Ödeme verursachen. Zur Unterscheidung vom venösen Ödem, das oft nur an einem Bein auftritt, zeigt sich das kardiale Ödem immer an beiden Beinen.

Das Ödem wird vom alten Menschen oft als bedrohliches Krankheitszeichen empfunden, das mit Schweregefühl in den Beinen sowie Schmerzen und Hautschäden am betroffenen Bein verbunden ist. Es ist dem Patienten unmöglich, Schuhe anzuziehen, sodass er in seiner Beweglichkeit eingeschränkt und seine Mobilität schwer gefährdet ist.

Das „schmerzende“ Bein

Ulzera bei primärer Varikosis verursachen zumeist wesentlich geringere Beschwerden – auch ist das Ödem hier weniger ausgeprägt – als jene, die sich infolge einer postthrombotisch bedingten CVI entwickeln. Insbesondere die kleinen, im Bereich einer Capillaritis alba (weiße atrophische Narbenherde bei einer CVI) auftretenden Ulzera können dem Patienten erhebliche Schwierigkeiten und Schmerzen bereiten.

Allgemein ist der Venenschmerz meist ein „Ruheschmerz“, der beim Gehen und Beinhochlegen verschwindet. Stets sind beim Alterspatienten aber auch arterielle, neurogene und arthrogene Schmerzen mitzuberücksichtigen. Denn durch die Begleiterkrankungen wie pAVK (periphere arterielle Verschlusskrankheit), Diabetes mellitus oder Rheuma entsteht ein regelrechtes Mixtum an Schmerzen.

Eine ausreichende Schmerztherapie, die vom Arzt erarbeitet wird, ist für den Patienten von größter Bedeutung für seine Lebensqualität und den Erhalt seiner Eigenständigkeit. Starke Schmerzen sind im Alter ein häufiger Grund für Depressionen.

Das „offene“ Bein

Ein venöses Ulkus, das nicht selten viele Jahre besteht oder immer wieder aufbricht, ist für den Betroffenen eine wirklich leidvolle Erfahrung: Allein der tägliche Anblick des Geschwürs kann den alten Menschen deprimieren. Oft wird die Körperhygiene vernachlässigt, weil man mit der offenen Wunde nicht duschen will. Der zur Heilung notwendige Kompressionsverband beeinträchtigt die Gehfähigkeit, weil die Schuhe nicht mehr passen.

Vor allem ist es auch die Langwierigkeit einer Ulkusbehandlung, die für den Patienten schwer zu ertragen ist, aber auch Arzt und Pflegefachkraft bzw. Wundbehandlern Probleme verursacht. Geduld und Compliance gehen verloren und begründete Therapien mit Kompressionsverband und fachgerechter Wundbehandlung werden nicht selten durch konzeptlose Behandlungen mit den verschiedensten Heilmitteln (Polypragmasie) ersetzt. Gerade beim „offenen Bein“ aber kann durch eine konsequent durchgeführte Behandlung unter Anwendung moderner Wundversorgungsprodukte das schwere Los Betroffener erleichtert und das Ulkus zur Abheilung gebracht werden.
[4] Kontaktekzeme auf sensibilisierende Substanzen sind bei CVI-Patienten nicht selten. [5] Venöse Ulzera bilden sich bevorzugt im Bereich der Knöchel (Bisgaardsche Kulisse) aus und erlauben eine Primavistadiagnose. [6] Form und Größe eines venösen Ulkus sind variabel, das Geschwür kann den gesamten Unterschenkel erfassen (Gamaschenulkus).