Das Puzzle zusammenfügen

Warum ist Weiterbildung über Wundbehandlung wichtig? Veronika Gerber, Mentorin und Vorsitzende der Initiative Chronische Wunden, gibt Einblick in ihre Erkenntnisse.

von Veronika Gerber
Effektive Wundbehandlung ist mehr als die Summe ihrer Teile.

Sie ist physiologisch, sie ist patientenzentriert, und sie erfordert einen interdisziplinären Ansatz. Am wichtigsten ist es jedoch, den Patienten einzubinden und zu überzeugen. Ich nenne dies den Patienten zum Co-Therapeuten zu machen.

Besonders eindrucksvoll ist für mich der Fall einer jungen Landwirtin, hier hat sich mir deutlich gezeigt wie wichtig der interdisziplinäre Ansatz und die Einbindung des Patienten ist.

Die Vorgeschichte der Patientin lässt sich so zusammenfassen: Sie war Mutter dreier Kinder und arbeite hart auf dem eigenen landwirtschaftlichen Hof. Neben der Arbeit im Stall kümmerte sie sich um die Kinder, erledigte die Büroarbeit und kochte für 15 Personen. Sie war so eingebunden, dass sie nicht bemerkte, wie sich an ihrem Bein ein Geschwür entwickelte.

Sie besuchte unser Wundzentrum und erhielt einen Behandlungsplan: Venen-OP, Kompressionstherapie und passende Wundverbände. Man konnte sofort sehen, wie die Beinwunden kleiner wurden. Im Laufe der Behandlung stagnierte jedoch die Heilung. Wir konnten nicht herausfinden, warum.

Bei ihrem ersten Besuch hatte das Behandlungsteam ihr geraten, nicht mehr im Stall zu arbeiten. Wir stellten Kontakt zu einem landwirtschaftlichen Assistenten her, der für die Dauer der Heilungsphase ihre Aufgaben im Stall übernehmen konnte. Dies war eine deutliche Veränderung ihres Alltages, von der alle Beteiligten profitierten. Die Kinder verbesserten ihre Noten in der Schule, da die Mutter sie bei den Hausarbeiten betreuen konnte. Der Haushalt lief besser und im Büro war immer ein Ansprechpartner. Das alles erzählte sie uns auf Nachfrage. Es lag auf der Hand, dass die Patientin unbewusst die bessere Lebenssituation beibehalten wollte und Sorge hatte, dass nach der Wundheilung wieder alles schlechter lief. Nach Rücksprache mit dem Ehemann wurde die Hilfskraft fest eingestellt und die Wunde heilte komplikationslos ab.

Nach diesem Gespräch mit der Patientin war uns klar, dass auch unbewusste Blockaden einen Einfluss auf die Wundheilung haben. Monate nach der Abheilung der Wunde kam die Patientin wieder in das Wundzentrum und berichtete, dass ihr selbst der Zusammenhang zwischen der Wundheilungsstörung und der unbewussten Angst, wieder im Stall arbeiten zu müssen, nicht klar war. Ihr Körper hat sich einfach verweigert.
Besprechung mit Ärzten
Die Wundheilung beginnt nicht mit der Wunde selbst. Man muss alle Teile zusammenfügen, wie bei einem Puzzle: Psyche, physische Voraussetzungen, Ursachentherapie, Wundbehandlung.

Das bedeutet, die Lebenssituation, Bedürfnisse und Gefühle der Patienten zu verstehen, sich mit den Angehörigen der Patienten auseinanderzusetzen und die Expertise der verschiedenen Experten zu kombinieren, um den Patienten die bestmögliche Behandlung zukommen lassen zu können.

Best Practices sollten ausgetauscht werden

Um das Puzzle zusammenzusetzen sind viele Kenntnisse erforderlich.


Das gilt insbesondere für Beingeschwüre. Die Diagnostik erfordert Expertenwissen. Es gibt 100 Diagnosen für „Offene Beine“. Ich selbst kenne „nur“ 38. In der Folge dauert es oft mehrere Jahre, bis ein Beingeschwür korrekt diagnostiziert wird.


Die zunehmende Zahl chronischer Krankheiten weltweit und die demographische Entwicklung bedeuten, dass medizinische Fachkräfte jeder Spezialisierung zunehmend mit der Behandlung chronischer Wunden konfrontiert sind. Wird ein Patient beispielsweise aufgrund einer Augeninfektion stationär aufgenommen, dann lässt er sein Fußgeschwür nicht zu Hause. Es ist daher von entscheidender Bedeutung für alle Fachgebiete einen Ansprechpartner für Wundpatienten zu haben, der konsularisch zu Rate gezogen werden kann.


Aber es gibt einen Haken. Allgemeinmediziner können nicht alle Patienten an einen Spezialisten verweisen. Dazu kommt, dass nicht jeder ältere Patient zu einem für ihn fremden Facharzt gehen möchte. Meiner Einschätzung nach wird es immer wichtiger, dass relevantes Wissen und verlässliche Ressourcen verfügbar und leicht abrufbar sind.


Es gibt ein Sprichwort: „Wissen wächst nur, wenn man es teilt, nicht, wenn man es speichert.“ Und die Weitergabe von Wissen, insbesondere im Bereich der Wundbehandlung, steht daher im Mittelpunkt unserer Aktivitäten.

Besprechung mit Pflegekräften
Die Initiative Chronische Wunden (ICW), die 2005 gegründet wurde, hat derzeit 40 regionale Arbeitsgruppen in ganz Deutschland. Hier tauschen ärztliche und pflegerische Experten, Podologen, Physiotherapeuten sowie Arzthelferinnen und Apotheker regelmäßig Ideen und Wissen aus, um die Situation vor Ort zu optimieren. Die ICW prüft die Qualität bezogen auf das Wundmanagement in Wundzentren, Arztpraxen, Pflegediensten und Kliniken auf Anfrage. Bei guter Qualität erhalten diese Einrichtungen ein Zertifikat, das „Wundsiegel“. 150 zertifizierte Schulungsanbieter bieten den Kurs „Wundexperte ICW“ in ganz Deutschland an.
Unser Partnerschaftsprogramm in China, das in Zusammenarbeit mit dem HARTMANN Wundmanagement stattfindet, ist auf zwei Monate angelegt. Auf diese Weise haben die Teilnehmer die Möglichkeit, ihr theoretisches Wissen in die klinische Praxis zu übertragen. Gegenwärtig hat die ICW 35.000 zertifizierte Wundexperten in Deutschland, und über 300 Krankenpfleger und -pflegerinnen mit „Wundexperte“ -Zertifikaten in 61 Städten in China ausgebildet. Die Kommunikation mit den Patienten macht einen großen Teil unseres Lehrplans aus.

Wo liegt der Unterschied zwischen Wundbehandlungsweiterbildung heute und gestern?

Ich wurde 1976 an der Universitätsklinik in Düsseldorf zur Kinderkrankenschwester ausgebildet. Zu jener Zeit enthielt der Lehrplan kein einziges Element, das explizit die Behandlung chronischer Wunden betraf. Im Grunde genommen habe ich mir das ABC der Wundbehandlung selbst beigebracht. Im Laufe von zwanzig Jahren habe ich in verschiedenen Kliniken in Deutschland gearbeitet und dabei festgestellt, dass medizinische Fachkräfte wenig bis gar nichts über Wundbehandlung wussten. In diesen Jahren habe ich interne Schulungen über die Grundlagen der Wundbehandlung entwickelt.


Heute dagegen haben medizinische Fachkräfte etliche Optionen zur Auswahl.


Es gibt verschiedene Programme, private Schulungsangebote und Online-Kurse über Wundbehandlung. Aber das reicht nicht aus. Denken Sie daran, die Zahl der chronischen Krankheiten steigt. Die Anzahl der Fälle von Patienten mit chronischen Wunden wird zunehmen. Die Ausbildung von medizinischen Fachkräften muss weitergehen und ihre Vernetzung muss noch viel intensiver werden, beispielsweise in der Form regionaler Netzwerke.


Die Behandlung chronischer Wunden mag tatsächlich einem Puzzle ähneln. Aber Fachkräfte mit dem nötigen Wissen, den nötigen Fähigkeiten und der Erfahrung haben das erste Puzzleteil in der Hand. Lassen Sie uns also die Teile zusammenfügen – für unsere Patienten. Nie war die Zeit so reif für LINK.

Veronika Gerber ist Vorsitzende und Gründungsmitglied der Initiative Chronische Wunden e.V., ein deutscher Verein, der sich dafür einsetzt die Prophylaxe, Diagnostik und Therapie von Menschen mit chronischen Wunden zu verbessern. Sie begann ihre Karriere als Kinderkrankenschwester in Düsseldorf. Seitdem hat sie es zu ihrer Aufgabe gemacht, jeder medizinischen Fachkraft eine Weiterbildung in der Wundbehandlung zu ermöglichen.

Veronika Gerber