Die Vermeidung von Krankenhausinfektionen und die unterstützenden Maßnahmen für eine Verbesserung der Hygiene in Krankenhäusern müssen weiter im Fokus der Politik bleiben. Darauf wiesen die Experten des 7. BVMed-Hygieneforums am 5. Dezember 2018 in Berlin mit mehr als 100 Teilnehmern hin.
Das Hygieneförderprogramm der Bundesregierung vom Juli 2013, das Ende 2019 ausläuft, sollte über das Jahr 2020 hinaus fortgeführt werden, so Dr. Susanne Huggett von Medilys. Zwar gebe es gute Erfolge bei den Hygienefachkräften, aber immer noch Defizite bei Hygieneärzten. Prof. Dr. Konrad Reinhart von der Sepsis-Stiftung machte auf die Dramatik des Themas Blutvergiftung aufmerksam und forderte einen Nationalen Sepsisplan. Nach Fachveröffentlichungen seien in Deutschland bis zu 20.000 Todesfälle vermeidbar. Prof. Dr. Christine Geffers von der Charité forderte eine konsequente Umsetzung der Maßnahmen zur Prävention postoperativer Wundinfektionen. Als einen Baustein stellte Dr. Christoph Justinger vom Klinikum Karlsruhe antiseptisches Nahtmaterial vor. Dr. Malte Petersen stellte die Initiative "Gemeinsam für Infektionsprävention" des Bundeskanzleramts vor. Die Hygiene-Fachärztin Dr. Doris Weitzel-Kage präsentierte die Initiative "Kampf dem Keim" des Krankenhauses Bethel Berlin, die mit kurzen und unterhaltsamen Videos aufklärt. Joachim Rösel, Sprecher des BVMed-Fachbereichs Krankenhausinfektionen, verwies auf die unterstützenden Infografiken und Informationen des BVMed zum Thema "nosokomiale Infektionen" auf der Webseite www.krankenhausinfektionen.info. Das Fazit von Moderator Raimund Koch: "Wir wissen viel, aber wir müssen es konsequenter umsetzen. Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem."
Prof. Dr. Christine Geffers vom Nationalen Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Charité-Universitätsmedizin beleuchtete die einschlägigen Empfehlungen zur Prävention postoperativer Wundinfektionen. Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) am Robert Koch‐Institut (RKI) und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) würden dabei bei ihren Empfehlungen weitestgehend übereinstimmen.
Die KRINKO-Empfehlungen, die in diesem Jahr veröffentlicht wurden, sprechen sich dafür aus, Infektionen vor dem operativen Eingriff festzustellen und vor der OP ausheilen zu lassen. Denn Infektionen an anderer Stelle erhöhen aus Sicht der KRINKO das Risiko für postoperative Wundoperationen. Die WHO-Empfehlung enthält diese Maßnahme dagegen nicht – der hohe Evidenzgrad der Empfehlung sei erstaunlich, "wenn es auch eine gute Idee sein mag" so Geffers. Zudem empfiehlt die KRINKO, die präoperative Verweildauer so kurz wie möglich zu halten. Es stelle sich die Frage nach der Evidenz, "aber schlecht ist die Idee natürlich nicht", so die Hygieneexpertin.
Übereinstimmend empfehlen KRINKO und WHO die präoperative Hautreinigung. Die Patienten sollten vor der OP baden oder duschen. Wichtig sei zudem, dass Patienten mit MRSA, aber auch nur mit dem S. aureus-Träger vor dem Eingriff "saniert" werden sollten. Patienten sollten deshalb nicht nur auf MRSA, sondern auch auf S. aureus untersucht werden. Selbstverständlich seien eine adäquate Händehygiene des Personals und die Verwendung von sterilen Handschuhen. Haare im OP-Gebiet sollten nicht rasiert, sondern nur gekürzt werden. Die Hautdesinfektion sollte mit alkoholbasiertem Remanenzwirkstoff durchgeführt werden. Einig sind sich die Empfehlungen bei der notwendigen sterilen Abdeckung um das OP-Gebiet und dem Verzicht auf Folien.
Insgesamt zeichnete sich eine positive Tendenz insbesondere für Hygienefachkräfte ab. Hier sei der Personalaufbau deutlich erkennbar. Belastbare Daten zur Ausstattung der Krankenhäuser liegen aber nur eingeschränkt vor. Die Angaben zu den Beschäftigten variieren je nach Quelle stark. Der Bedarf an Krankenhaushygienikern könne derzeit nicht überall gedeckt werden. Es fehle insbesondere an Weiterbildungsstellen. Ein besonderes Problem bei den Hygienikern sei der sich abzeichnende Nachwuchsmangel. "Hygiene und Infektionsprävention sollten bereits im Studium mehr Gewicht erhalten", fordert Huggett. Das Hygieneförderprogramm läuft Ende 2019 aus und sollte "über das Jahr 2020 hinaus fortgesetzt werden".
"Gemeinsam für Infektionsprävention" verfolgt einen organisationspsychologischen Ansatz. Wichtig sei beispielsweise eine bessere Akzeptanz des Hygienethemas sowie die Etablierung einer positiven Fehlerkultur, aber auch die Vorbildfunktion der Stationsleitung. Das Projekt begann mit einer zeitintensiven Beobachtung des Verhaltens auf ausgewählten Klinikstationen anhand von 200 Indikatoren. Die Compliance-Rückmeldungen wurden in monatlichen Teammeetings besprochen und Lösungen zur besseren Infektionsprävention erarbeitet. Ärzte und Pfleger saßen dabei an einem Tisch und setzten sich gemeinsam Compliance-Ziele. Das Leitungsteam war multiprofessionell besetzt.
An dem Projekt waren zwischen 2016 und 2018 insgesamt 85 Krankenhäuser beteiligt. Im Ergebnis konnte die Händehygiene-Compliance von rund 70 auf 86 Prozent signifikant gesteigert werden. Besonders Intensivstationen, die zu Beginn eine relativ niedrige Händehygiene-Compliance aufwiesen, profitierten besonders stark, so Petersen. Auf der Pilotstation konnte zudem ein deutlicher Rückgang der Device-assoziierten Infektionen festgestellt werden. Ein vollständiger Abschlussbericht zum Projekt soll im Frühjahr 2019 vorliegen.
Die öffentliche Wahrnehmung von Sepsis sei allerdings gering, die Unkenntnis groß. "Dass Sepsis durch gewöhnliche Infektionen wie Lungenentzündung, Grippe, Hirnhautentzündung oder Masern ausgelöst wird, gegen die man sich durch Impfung schützen kann, ist laut repräsentativen Umfragen den wenigsten Bundesbürgern bekannt", bemängelt Reinhart. Die in Deutschland unverhältnismäßig hohe Sepsissterblichkeit unterstreicht nach Meinung des Experten die Notwendigkeit, wie in der Resolution der Weltgesundheitsorganisation (WHO) dringlich gefordert, nationale Strategien zur Vermeidung und Verbesserung der Behandlungsergebnisse bei Sepsis in einem "Nationalen Sepsisplan" zu entwickeln und zeitnah umzusetzen.
Die im Mai 2017 verabschiedete WHO-Resolution macht deutlich, dass die meisten Todesfälle durch Sepsis vermeidbar sind. Die Mittel hierzu sind Vorbeugung durch Impfung und Hygiene, Früherkennung und Behandlung der Sepsis als Notfall. Sepsis entstehe dabei zu 70 bis 80 Prozent der Fälle außerhalb des Krankenhauses, "deshalb ist die Aufklärung von Laien und aller im ambulanten Bereich tätigen Gesundheitsdienstleister genauso wichtig wie die Schulung von Ärzten und Pflegekräften in den Krankenhäusern", betont Reinhart.
Ein besonderes Angebot ist das anschauliche Grafikmaterial, das für Präsentationen oder Schulungen kostenlos heruntergeladen werden kann. Neu ist eine umfangreiche Sammlung von Piktogrammen für Präsentationen und Schulungsmaterial. Die über 80 Symbole rund um die Vermeidung von Krankenhausinfektionen ergänzen das Grafikmaterial für Präsentationen sowie Hintergrundinformationen, die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité in Berlin entstanden sind. Ein Informationsfilm dient zudem als einfacher und verständlicher Einstieg in das komplexe Thema. Alle Materialien können unter www.krankenhausinfektionen.info kostenfrei heruntergeladen werden.
Die Wundinfektrate wird von multiplen Faktoren beeinflusst, nicht nur von der chirurgischen Technik. Zur Vermeidung von Wundinfekten sind damit auch multiple Maßnahmen nötig. Ein Bestandteil sollten antiseptische Nahtmaterialien sein, die Wundinfekte verhindern können. "Denn rund 50 Prozent aller Krankenhausinfektionen sind Fremdkörper-assoziiert", betont Justinger. Nahtmaterial ist dabei ein Implantat mit großen Oberflächen und damit bedeutsam. Es existiert eine gute Studienlage mit mehr als 17.000 eingeschlossenen Patienten, die den Effekt von antiseptischem Nahtmaterial ohne Nebenwirkungen nachweist.
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