PflegeDienst 2/2020

Heilkundeübertragung vor, während und nach Corona Die jüngsten Aktivitäten des Bundesgesetzgebers beweisen: Not macht erfinderisch. Denn auf dem Höhepunkt der Corona-Krise macht eine eilig verabschiedete Änderung des Infektionsschutz- gesetzes etwas möglich, an dem sich bis dahin über Jahrzehnte hinweg viele in der Gesundheits- politik Beteiligte vergeblich die Zähne ausgebissen haben: die Substitution heilkundlicher (ärzt- licher) Tätigkeiten auf Angehörige der Pflegeberufe. Wenngleich die so eingeführte Aufgabenverschiebung nur für die Dauer einer epidemischen Not- lage gelten soll – der Schritt an sich ist bemerkenswert und wirft ein Licht auf die Grenzen der tra- dierten Strukturen der Aufgaben- verteilung zwischen Medizinern und beruflich Pflegenden. Die Abgrenzung der Tätig- keitsbereiche von nichtärztlichen Berufsgruppen mit dem originär ärztlichen Hoheitsbereich und die damit zusammenhängende Frage, welche Aufgaben im Rahmen der vertikalen Arbeitsteilung vom Arzt auf die Angehörigen der Pflegebe- rufe übertragen werden können, beschäftigt seit über 20 Jahren die ärztliche, pflegerische und juris- tische Wissenschaft. Eine exakte Definition der Grenzlinie für die jeweiligen Verantwortungsberei- che ist bislang von keiner Disziplin herausgearbeitet worden. Wer und was blockiert? Hinter allen Abgrenzungsbemü- hungen steckten handfeste Inter- essenkollisionen. Personaldefizite im Arzt- und Pflegebereich, Spar- zwänge der Einrichtungsträger, berufspolitische Grabenkämpfe zwischen Ärzten und Pflegenden und die Trägheit der Sozialversi- cherungsträger behinderten in der Vergangenheit die zielführende Debatte leider allzu oft. Umbrüche in ambulanten und stationären Versorgungsberei- chen, immer komplexere Behand- lungsangebote für chronisch kranke Menschen, neue technik- intensive Behandlungsoptionen, die Akademisierung der Pflege sowie die steigende Bedeutung von Prävention und Rehabilitation taten ihr übriges hinzu. Je nach Blickwinkel ist die Argumentation in die eine oder andere Richtung verschärft worden. In der Praxis gingen die Ver- änderungen in der Versorgungs- struktur jedoch unweigerlich mit immer höheren Anforderungen an die professionellen Kräfte im Gesundheitsdienst einher. Dem- entsprechend stieg auch das Bedürfnis nach eindeutigen Rege- lungsvorgaben für die konkreten Fragen nach der Übertragungs- möglichkeit von qualifizierten Auf- gaben mit medizinischem Cha- rakter. Über die Zeit hinweg hat die „Rechtsdepesche im Gesund- heitswesen“ die verschiedenen Etappen dieser Entwicklung begleitet und die Abgrenzungskri- terien für die Kompetenzbereiche Arzt / Pflege anhand der einschlä- gigen Rechtsprechung und den tatsächlichen Entwicklungen in den Arbeitsfeldern von Medizin und Pflege herausgearbeitet. Kann die epidemische Notlage durch das Coronavirus die 20-jährige Stagnation in der Heilkundeübertragung überwinden? Es wäre an der Zeit, entsprechend qualifizierten Berufsangehörigen der Kranken- und Altenpflege, die nicht nur aktuell in der Coronakrise, sondern tagtäglich für ein reibungsloses Funktionieren unseres Gesundheitswesens sorgen, die selbstständige und eigenverantwortliche Ausübung von Heilkunde zu ermöglichen. Die Autoren: Prof. Dr. Volker Großkopf und Michael Schanz, beide Rechtsdepesche für das Gesundheits­ wesen, Spezialgebiet Arzt- und Pflegerecht, Salierring 48, 50677 Köln, E-Mail schanz@rechtsdepesche.de Praxis 16 HARTMANN PflegeDienst 2/2020

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