PflegeDienst 3/2019

Was ist das Gedächtnis? Das Gedächtnis wird oft mit einer großen Fest- platte verglichen, was aber nicht annähernd seine Leistungsfähigkeit und Bedeutung für uns beschreibt. Ohne Gedächtnis wären wir hilflos. Mithilfe des Gedächtnisses sind wir in der Lage, eine große Fülle an Fakten, Menschen und Ereignissen zu speichern, bei Bedarf abzurufen und uns an sie zu erinnern. Dieses Erinnern ist letztlich die Basis für unser gegen- wärtiges und zukünftiges Verhalten und Handeln. Wie kommt Gedächtnisleistung zustande? Die physiologische Grundlage des Gedächtnisses bildet das Gehirn. Dessen elektrodynamische und biochemische Mechanismen bewerkstelligen die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen und deren Speicherung in einem stetigen und höchst dynamischen Prozess. Dieser ist oft nicht bewusst und kann nur anhand seiner Ergebnisse – also dem Gewussten oder Gekonnten – nachvollzogen werden. Dabei gibt es für das Gedächtnis keine klar abge- grenzten Strukturen im Gehirn. Vielmehr arbeitet ein großes Netzwerk aus Nervenzellen in verschie- denen Hirnbereichen gleichzeitig daran, Millionen Signale aus den Sinnesorganen zu bewerten und zu speichern. In der Hirnforschung geht man davon aus, dass das Gedächtnis kein einheitliches System ist, sondern in drei Subeinheiten untergliedert ist, die sich jeweils auf die Dauer der Informationsspeicherung beziehen. Das Ultrakurzzeitgedächtnis – auch als sensorisches Gedächtnis bezeichnet – befähigt den Menschen durch seine enorme Kapazität, reichhaltige Informa- tionen von allen Sinneskanälen – Bilder, Töne, Gerü- che, Strukturen – aufzunehmen und für eine extrem kurze Zeit von wenigen Sekunden abzuspeichern. Während dieser Zeitspanne werden die von den Sinnesorganen eingehenden Signale auf ihre Wich- tigkeit hin überprüft und entsprechend gefiltert. Den Übergang in das Kurzzeitgedächtnis schafft dann nur ein geringer, aber für das jeweilige Individuum irgendwie bedeutsamer Bruchteil an Informationen. Der große Rest wird gleich wieder gelöscht. Aufgrund wissenschaftlicher Experimente wird angenommen, dass das eigentliche Kurzzeitgedächt- nis (auch als Arbeitsgedächtnis bezeichnet) über eine Speicherdauer zwischen 20 Sekunden und ca. 20 Minuten verfügt und nur eine sehr begrenzte Spei- cherkapazität hat. Trotz dieser begrenzten Speicherkapazität ist das Arbeitsgedächtnis für das Gelingen unseres täglichen Lebens jedoch von zentraler Bedeutung. Denn es ist der Schlüssel zu Aufmerksamkeit und Konzentration. Nur dank des Arbeitsgedächtnisses können wir uns beispielsweise kurzfristig an Telefonnummern erin- nern, einem Gespräch folgen und selbst eines füh- ren, Rechenaufgaben lösen oder uns erinnern, wo wir die Brille hingelegt haben. Die sich im Kurzzeitgedächtnis befindlichen Infor- mationen verlöschen allmählich oder gehen in das Langzeitgedächtnis über, wenn sie für das Indivi- duum zum Speichern wichtig genug sind. Das Langzeitgedächtnis mit seinen Subeinheiten deklaratives Gedächtnis für bewusstes Faktenwissen und nicht deklaratives Gedächtnis für unbewusste Erinnerungen (z. B. automatisierte Fähigkeiten wie Autofahren), verfügt nach Ansicht von Gehirnfor- schern über eine unbegrenzte Speicherdauer. Dies würde bedeuten, dass alles, was einmal im Langzeit- gedächtnis abgespeichert ist, nicht mehr vergessen werden kann. Erinnern wir uns nicht mehr an in der Vergangenheit gespeichertes Wissen, ist mutmaßlich nicht das Wissen verloren gegangen, vielmehr ist der „Weg“ dorthin blockiert. Ziemlich einig sind sich Gehirnforscher auch darin, dass die Speicherkapazität des Langzeitgedächtnis- ses unbegrenzt ist. Wie diese biologisch gegebene, unbegrenzte Speicherkapazität genutzt werden kann, ist individuell sehr unterschiedlich und hängt ab von Lebensumständen, von Intentionen und Ambitionen und insbesondere vom Willen, die Speicherkapazität durch Lernen und gezieltes Training zu nutzen. Was ändert sich im Alter? Altersforscher und Biochemiker Professor Dr. Chris- tian Behl von der Universität Mainz beschrieb die normalen Veränderungen der Gedächtnisleistungen im Alter einmal so: „Bei den kurzzeitigen Gedächtnis- leistungen, also flink sein, sich schnell etwas merken, rasch Neues begreifen, sind junge Menschen klar im Vorteil. Aber bei langzeitlichen Gedächtnisleistungen, die an die Erfahrung und an die Lebensgeschichte Motorisches Zentrum Prämotorisches Areal Primär-moto- risches Areal Sensorischer Bereich Vorstellungs- vermögen und Raum- orientierung Sprachverständnis Hörzentrum Sprachzentrum Sehzentrum Netzwerk Gehirn als Gedächtnisbasis Schwerpunkt 5 HARTMANN PflegeDienst 3/2019

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